Wir schaffen das

 

Die europäische Flagge, eingebettet die britische, und darunter die ikonische Handhaltung von Angela Merkel

Wenn nicht wir selbst, wer dann?

Europa steht vor der größten Herausforderung seit 1939. Die werden wir nur gemeinsam meistern. Es wird nicht leicht werden, und es wird mit Einschnitten in den seit 80 Jahren aufgebauten Wohlstand nach den unfassbaren Zerstörungen und Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges verbunden sein. Aber wenn wir, die Europäer, es wollen, dann schaffen wir es.

Man sollte nicht unterschätzen, um was es hier geht. Viele sagen, Donald Trump als Gallionsfigur einer neuen, gangsterartig vorgehenden US-Regierung zerstöre die Nachkriegsordnung nach 1945. Und außerdem sei er doch 'nur' vier Jahre im Amt. Beides ist falsch. Die US-Regierung zerstört nicht nur die Nachkrieg-Weltordnung, sondern die Idee der Herrschaft der Vernunft und des friedlichen Zusammenlebens der Völker, die der Kern der europäischen Aufklärung im 18. Jahrhundert war. Diese Regierung will wieder die Herrschaft der Stärksten einführen, die Europa im Dreißigjährigen Krieg verwüstete und zu Beginn des 20. Jahrhundert den Ersten Weltkrieg auslöste. Auch nach dem Ende der Regierungszeit von Donald Trump - und ohne voraussagen zu können, was von dem nach 1945 mühsam aufgebauten und ohnehin sehr fragilen Weltfrieden dann überhaupt noch übrig ist - kann niemand wissen, ob nicht weiterhin eine Mehrheit der US-amerikanischen Wähler:innen der Meinung ist, dass es nur darum geht, die USA wieder great again zu machen.

Man sollte nämlich nicht übersehen, was den extremen ideologischen und damit sowohl außen- als auch innenpolitischen Kurswechsel der USA ausgelöst hat: Angst, konkret: das nicht mehr zu leugnende Gefühl, die politische Hegemonie über die ganze Welt unwiderbringlich verloren zu haben. Diese Hegemonie war immer eine prekäre: Vietnam, unzählige Fälle der Unterstützung brutalster Autokratien in Lateinamerika, der Irak-Krieg und das Aufpäppeln der Taliban in Afghanistan seinerzeit gegen die Sowjetinvasion, nur um dreißig Jahre später von den Taliban besiegt zu werden. Es ist unfassbar... Aber zumindest für einige Jahrzehnte glaubte ein Großteil der Welt noch, dass die USA insgesamt, irgendwie, per saldo oder wie immer man es ausdrücken will, überwiegend das Gute in der Welt befördert haben.

Das ist jetzt vorbei, endgültig.

Wir stehen vor dem Versuch der USA - nicht jedoch aller seiner Bürger, auch wenn 53% der US-Amerikaner nach wir vor von Herrn Trump begeistert zu sein scheinen - in einen globalen Faustkampf zurückzufallen. Zu dem will die Regierung in Washington nur drei Wettbewerber zulassen, nämlich sich selbst, China und Russland. Der Rest der Welt soll den Mund halten, auf den Zuschauerbänken darauf warten, welchem Machtblock man zugeordnet wird, um sich dann widerspruchslos kommandieren und ausbeuten zu lassen. Wer aufmuckt, wird bekämpft, eingesperrt, verschwindet auf Nimmerwiedersehen oder, wenn alles nichts hilft, bombardiert, bis sich kein Widerstand mehr regt. So machen das China und Russland, und das scheint auch das neue Ideal der Trump-Truppe zu sein. Help!

Man sollte sich auch nicht über die Art der neuen Feindschaft, die die USA gegenüber Europa zeigen, täuschen: Die New York Times zeigte kürzlich anhand vieler Äußerungen von Trump und seiner Regierungsmannschaft, dass Europa nicht nur ein wirtschaftlicher Gegner, sondern sogar insbesondere der ideologische Feind der USA ist. Trump sagte: "Die Europäische Union wurde gegründet, um die USA zu bescheißen." (wörtlich!). Die New York Times warnte die Europäer daraufhin unmissverständlich: Der USA unter Trump gehe es letztlich darum, die EU zu zerstören. Die USA unter diesem neuen, üblen Leitstern dulden keinen Widerspruch, und Europa wäre die einzige Macht auf der Welt, die überhaupt gewillt ist, den USA fundiert zu widersprechen. Denn wir - die Bevölkerungen der Länder der EU einschließlich Großbritanniens - leben Diversität und den Ausgleich des Verschiedenen. Uns gelingt das nicht ohne Friktionen, nicht ohne Mühe. Aber niemand in Europa denkt daran, einen Krieg gegen Andersdenkende zu führen oder sich imperialistisch zu erweitern. Die Lehren des 19. und 20. Jahrhunderts waren so blutig, dass niemand hier eine weitere Lektion braucht. Jetzt wurde uns von Putin ein imperialistischer Krieg mit der Ausrede aufgezwungen, in Wirklich sei der Westen der Angreifer. Wie hohl diese Ausrede ist, merkt man bereits daran, dass er im russischen Staatsfernsehen davon schwadroniert, die alte Sowjetunion zumindest in ihren territorialen Grenzen wieder aufleben zu lassen.

Wie haben aus der europäischen Geschichte gelernt, aus Verdun, aus Auschwitz. Jetzt seid bereit, unsere gemeinsamen Vorstellungen von einem gerechten, friedlichen und in Maßen auch materiell wirklich guten Leben zu verteidigen. Es wird etwas kosten. (ws)

Frühere Leitartikel

Lebensziele

Lebensziele sind so verschieden wie die Menschen, die sie haben. Viele Menschen haben auch gar keines. Entweder haben sie mit der Not des Alltags so viel zu tun, dass für Gedanken an ein Lebensziel keine Zeit bleibt, oder sie brauchen keines, weil sie sich ohne so etwas einfach wohler fühlen. Andererseits ist der Ausdruck 'Lebensziel' sogar einer der Umgangssprache. Wir alles wissen, was damit gemeint ist, so ungefähr jedenfalls. Oder ist es gar ein Ausdruck psychischer Not, sich über so etwas überhaupt Gedanken zu machen? (ws)

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Jemand macht etwas, und ich bin wütend

Dieser Text ist ein Plädoyer gegen die Erregung, gemeinhin auch als Gefühl bezeichnet. Das ist eine unpopuläre Herangehensweise an die Dinge dieser Welt, ich weiß. Aber schauen wir einmal, was dabei herauskommt. Zunächst einmal geht es um die Unterscheidung von Erregung und Empfindung.

 

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Das plurale Subjekt

Schon seit den Gründungstagen der Soziologie gibt es einen Streit darüber, ob soziale Tatbestände auf das Handeln einzelner, physischer Menschen zurückgeführt werden müssen, um verstanden zu werden, oder ob es ein "Wir" auch als sozialontologisch eigene Entität, als ein eigenständiges "Wir" gibt. Für erstere Auffassung stand von Anfang an Max Weber, für letztere Auffassung ebenso ursprünglich Émile Durkheim. Der Streit ist bis heute nicht entschieden. Dabei ist die streitige Frage offensichtlich ein Musterbeispiel eines Scheinproblems.

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Die neue, unbekannte Weltordnung

In einer zunehmend globalisierten Welt sind normative Ordnungen zunehmend nicht mehr auf nationalstaatliche Grenzen und ihre rechtliche und vorrechtliche (aka: sittliche) Souveränität und Besonderheit bezogen. Das wird einerseits vielerorts begrüßt, denn nationalstaatliche Grenzen sind häufig genug identisch mit den Grenzen von Willkür, nationalem Egoismus und Einigelung in historische Eitelkeiten. Wie aber lassen sich normative Ordnungen anders begründen als mit Bezug auf nationalstaatliche oder politische Blockgrenzen?

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Überkomplexität

Die formale Aussagenlogik beruht auf der Annahme, dass eine Schlussfolgerung wahr ist, wenn ihre Prämissen wahr sind. Leider ist dieses Axiom nicht beweisbar. Und es gibt guten Anlasse zur Vorsicht, es blind zu glauben.

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Die unwahrscheinliche Verschwörung

Von Abraham Lincoln ist der Spruch überliefert: "Man kann einige Menschen die ganze Zeit und alle Menschen eine Zeit lang zum Narren halten; aber man kann nicht alle Menschen allezeit zum Narren halten." Dieser Spruch enthält nicht nur eine auf die einfachste Weise ausgedrückte Wahrheit, die mehr ist als nur ein Spruch. Die Behauptung ist mit logischer Notwendigkeit wahr. Das formale Kalkül dahinter ist aber keineswegs nur eine formale Spielerei. Sie ist das mächtigste Argument gegen jegliche Art von globaler Verschwörungstheorie. Im Folgenden will ich kurz versuchen, den formallogischen Hintergrund des Arguments zu beleuchten.

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Was machen eigentlich Philosoph*innen?

In seiner 11. These über Feuerbach hinterließ uns Marx den bekannten Spruch: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt drauf an, sie zu verändern." Das klingt so, als würden Philosoph*innen - etwas weniger vornehm ausgedrückt - nur schwatzen. Ist dieser implizite Vorwurf an "die Philosophen" gerechtfertigt?

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Verwirrende Zeiten

Das Jahr 2020 war vermutlich für die meisten Menschen dieser Erde nicht gerade das angenehmste ihres bisherigen Lebens. Und Besserung steht nicht unbedingt bevor: Nicht nur Covid 19, sondern auch politische Gewalt und Umweltzerstörungen in ungeheurem Ausmaß halten uns in einem Zustand des Schreckens, der nicht wenige Menschen irre werden lässt - irre an der Welt und an sich selbst.

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Der böse Jesus

Der Kapitalismus hat in den Landen, wo er erfunden und gepflegt wurde, keinen guten Ruf mehr. Er wird für einen beträchtlichen Teil all dessen verantwortlich gemacht, was inzwischen auf der ganzen Welt schiefläuft: Krasse Ungerechtigkeiten, ungezügelte Umeltzerstörung, konsumistische Massenverdummung. Wer aber ist dafür verantwortlich? Ja, natürlich: 'die' Unternehmer, denn sie sind das, dieKarl Marx als Kapitalisten bezeichnete. Schwere Schuld laden sie tagtäglich auf sich, weil sie ständig und mit großem Eifer am Untergang unserer lieben Welt arbeiten. Sehr böse. Fraglich ist allerdings, welche Rolle solche Schuldzuweisungen selbst bei der Fortschreibung der zugegeben schlechten Aussichten spielen.

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Einstürzende Altbauten

Seit Beginn dieses Jahrtausends scheint es mit der Menschheit auf diesem Planeten abwärts zu gehen - das jedenfalls könnte man meinen, wenn man den ständig anschwellenden Chor nicht nur der Mahner und Verängstigten, sondern auch der manifest Unzufriedenen bis hin zu militanten Möchtegern-Umstürzlern und veritablen Terroristen in seinen Kopf hereinlässt. Das Erstaunliche an dem Phänomen ist, dass es gleichzeitig global aufflammt und doch in sehr verschiedener Art daherkommt. Wie können wir uns dies erklären?

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