Pragmatischer Konstruktivismus: Eine Einführung (Lennart Nørreklit)

Datum: 24.06.2024 (20:00:00–22:00:00)

Ort: Online via Zoom. Für Nicht-Mitglieder von MoMo kann der Link per Email von uns angefragt werden.

 

Ein junger Mann imaginiert seine eigene Entwicklung

Unsere Zukunft liegt in der Integration aller Elemente lebendiger Ganzheit.

Diese Einführung in den Pragmatischen Konstruktivismus gliedert sich in drei Teile: 1. Erläuterung der Begriffe 'Welt' und 'Wirklichkeit'. 2. Eine integrative Theorie des Handelns, d.h. die Praxis der Konstruktion von Welt und Wirklichkeit, und 3. Die Theorie des Lebens als Selbst-Aktivität aus der Sicht des Pragmatischen Konstruktivismus:

1. Welt und Wirklichkeit

Die Begriffe 'Welt' und 'Wirklichkeit' werden kurz bezüglich ihrer Inklusivität (das In-der-Welt-sein) und ihrer Exklusivität (wirklich-/nicht wirklich- sein) verglichen. Dies führt zum Begriff der actor reality construction.

2. Integration der konstituierenden Aktivität (Handlung, Praxis)

Um die Handlungen und deren Folgen zu verstehen und zu bewältigen, versuchen wir ganzheitlich die zureichenden (nicht nur notwendigen) Bedingungen für eine erfolgreiche Konstruktion zu verstehen. Die zureichenden Bedingungen müssen alle erfüllt und integriert sein. Somit wenden wir uns gegen einen Reduktionismus. Als zureichende Bedingungen gehen wir von einer 4-dimensionalen Integration aus: die Integration von Faktizität, Möglichkeiten, Werten und Kommunikation. Jede dieser Dimensionen bezeichnet eine Relation einerseits des Akteurs zu sich selbst als Subjekt und andererseits des Akteurrs in seiner Welt.

Faktische Werte, die im Horizont der faktischen Handlungsmöglichkeiten liegen, motivieren die Handlung. Die Kommunikation der Integration von faktisch möglichen Werten organisiert das gemeinsame Handeln in der Praxis. Wenn diese Integration gelingt, funktioniert die Praxis. Eine weitere Bedingung hierfür ist das Hervorbringen einer integrierenden Idee und somit die Begriffsbildung. Ein Problem ist hier, dass Handlung/Aktivität Transformationen bedingen, wodurch die Praxis zu einem partiell sich selbst negierenden System wird. Dies gefährdet die Nachhaltigkeit und führt zu einem Entwicklungszwang, der in Selbstdestruktion ausarten kann.

Diese Dimensionen integrieren sich in empiristischer, rationalistischer, wertetheoretischer/ethischer, sprachphilosophischer und systemtheoretischer Hinsicht. Sie tragen alle zu wesentlichen Einsichten bei. Der langsame Zusammenbruch der lediglich statischen aristotelischen Integrationsphilosophie führte jedoch zu verschiedenen Formen reduktionistischen Denkens wie z.B. dem Rationalismus, dem Positivismus und mehr. Der deutsche Idealismus mag ein Beitrag zu einem neuen Integrationsverständnisses gewesen sein. Ein pragmatischer Standpunkt, der in der Mitte zwischen Ganzheit und Atomisierung liegt, indem er Erkenntnis als relational-dimensionale Handlung auffasst, ist deshalb notwendig, um für die Beziehung Akteur-Mensch eine praktikable Ontologie zu entwickeln.

3. Leben als integrierende Selbst-Aktivität - Semiotische Verbindung von Semantik und Physik

Leben ist aristotelisch als Selbstaktivität (Handlung) konzipiert. Leben entsteht als Emergenz: Die physische Kausalität ermöglicht die Entstehung einer Semantik des Lebens durch die Sphären formbarer Zeichen.

Mit dem Leben entsteht Sinn und Wirklichkeit, auch als Illusion, und damit Erkenntnis und Werte. Erst die historisch-zeitliche Dimension des Lebens ermöglicht die Entstehung von Sinn. Jedes Lebewesen ist bereits selbstbewegend in seiner Suche nach Möglichkeiten des Überlebens. Die Entstehung von Kommunikation ermöglicht Zusammenarbeit und akkumulierende Entwicklung der Erkenntnis - nicht nur als Perzeption oder Kognition, begriffliche Systeme, Erinnerungen, sondern auch als zeitlich strukturierte Narrative, die besonders für das menschliche Dasein grundlegend sinngebend sind. Menschen müssen ein zeitlich orientiertes Selbst zu entwickeln, um das Leben zu bewältigen. Dazu entwickeln sie Narrative des Selbst.

Wichtige Themen sind unter anderem:

  • Grundlegende Werte: Leben, Liebe des Lebens
  • Die Zeitlichkeit, die Rolle der Erzählung des menschlichen Sinns
  • Die Selbsterzählung
  • Kultur der Kommunikation und die Gewalt der Gesellschaft
  • Die Kultivierung der Kommunikation und des Sinns gegen das Abgleiten der Kommunikation in Gewalt und Unmenschlichkeit / Lebensvergessenheit.

Weitere Themen einer lebensbasierten Erkenntnistheorie:

  • Die notwendige kognitive Bewegung von weichen zu scharf abgegrenzten Begriffen, weil unsere Welt hauptsächlich analog ist.
  • Die abduktive Reflexion ist eine grundlegende Voraussetzung für die deduktive und induktive Praxis, um abduktive Beziehungen zu testen.
  • Eine innere Tiefe – die Gefühle – als tragenden Elemente für unsere Sinnerfahrung und unsere Lebensgestaltung.
  • Die Semantik der Informationstechnologie, speziell der KI, ist keine menschliche. Beim Menschen ist die Erkenntnis, die Sprache in uns neuronal gewachsen. Wir können nicht menschlich mit einer Maschine kommunizieren. Sie kann kein richtiger Freund werden.

Zur Person des Vortragenden:

Portrait von Lennart Norreklit

Prof. Dr. Lennart Nørreklit ist ein seit 2011 emeritierter Professor für Philosophie an der Aalborg Universität, Dänemark. Der Titel seiner Dissertation (1973) lautete: Concepts. Their Nature and Significance to metaphysics and epistemology, der Titel seiner Habilitation Formale Strukturen der Sozialen Logik (1987). Er nahm an der Entwicklung der  problembasierten interdisziplinären Studienform der Aalborg Universität seit 1974 teil. Internationale Aufenthalte unter anderem in USA 1986 (UWGB), 1988-90 (UIUC) und Litauen 1991 (Vytautus Magnus U). Fachlicher Fokus: philosophische Grundlagen wissenschaftliche Paradigmen und Methoden. Entwicklung von integrativer, nicht reduktionistische Arbeitsparadigmen. Hierunter Entwicklung von pragmatischem Konstruktivismus und Ausbau von Aktor / Dialog basierte Methodologie. Leiter zahlreiche Forschungsgruppen. Gründung vom Philosophischen Umfeld und Studium Aalborg Universität.

Er ist Mentor und Teilnehmer des Netzwerks Actor Reality Construction mit jährlichen Konferenzen, Forschungsprojekte, wissenschaftlichen Artikeln in internationale Zeitschriften und Bücher, siehe:

  1. Zeitschrift: Journal for Pragmatic Constructivism https://tidsskrift.dk/JouPraCon
  2. Webpage: https://research.tuni.fi/arc/.
  3. Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Pragmatic_constructivism.

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