Late Soviet Britain: Why Materialist Utopias Fail (Abby Innes, London School of Economics)
Datum: 23.09.2024 (20:00:00–22:00:00)
Ort: Kino Babylon und online via Zoom.
Schon seit fünfzig Jahren läuft da was schief...
This talk and the following discussion will be held in English.
The thesis offered here is that neoliberalism fails because the neoclassical economics that underpins neoliberal policy is fundamentally utopian, and it is doomed to fail for the same ontological and epistemological reasons that condemned Soviet socialism. What these politically opposed doctrines hold in common is closed-system economic reasoning from axiomatic deduction presented as a ‘governing science’. It follows that both must tend to fail on contact with a three-dimensional reality in an always evolving, open-system world, subject to Knightian uncertainty. The dark historical joke is that as ‘machine’ models of the economy both Soviet, specifically Stalinist, and neoclassical neoliberal economics converge on the same statecraft of quantification, output-planning, target-setting, forecasting and the presumption of only ‘rational’ - socially productive – firms. And this convergence should not surprise us, for this is the methodology that makes sense if you believe you live in a computable world. The result in both systems over time, however, is systematic state and economic failure and the creation of economic regimes that are a grotesque caricature of those that were promised. This time around however, the failure of neoliberalism threatens a failure of the democratic political regimes that elevated it, and in an ecological emergency. It follows that we need an urgent revival of analytical pluralism in government and a non-utopian critical realism about the true scope of the ecological crisis to underpin our necessarily diverse transitions to altogether more sustainable and adaptive political economic institutions.
Deutsche Einführung:
Abby Innes zeigt anhand vieler Beispiele aus der britischen Politik der letzten 50 Jahre, wie fundamental der dortige Neoliberalismus dem Land geschadet hat. Die neoklassische Wirtschaftslehre, die der neoliberalen Politik zugrunde liegt, ist in ihrer Rigidität durch und durch utopisch. Sie ist aus denselben ontologischen und erkenntnistheoretischen Gründen zum Scheitern verurteilt, die auch den sowjetischen Sozialismus zum Einsturz brachten. Was diese politisch gegensätzlichen Doktrinen vereint, ist ein geschlossenes wirtschaftliches Systemdenken, das auf axiomatischer Deduktion beruht und als „herrschende Wissenschaft“ ausgegeben wird. Daraus folgt, dass beide, sowohl die Theorie als auch ihre Praxis, in die Irre laufen, wenn sie mit der Realität in Berührung kommen. Denn wir leben in einer sich ständig entwickelnden Welt offener Systemen, deren Wandel radikal ungewiss ist.
Der dunkle historische Witz besteht nun darin, dass sowohl die sowjetische, insbesondere die stalinistische, als auch die neoklassische, neoliberale Wirtschaftswissenschaft als Maschinen-Modelle der Wirtschaft auf dieselbe Staatskunst der Quantifizierung, der Produktionsplanung, der Zielsetzung, der Vorhersage und der Annahme von ausschließlich „rationalen“ - sozial produktiven - Unternehmen zurückgreifen. Diese Konvergenz sollte uns nicht überraschen. Denn diese Methodik folgt aus dem Glauben, dass wir in einer vollstänädig berechenbaren Welt leben. Das Ergebnis beider Systeme ist in Großbritannien genauso wie in der ehemaligen Sowjetunion ein im Laufe der Zeit systematisches staatliches und wirtschaftliches Versagen und die Schaffung eines Wirtschaftssystems, das eine groteske Karikatur derjenigen ist, das der jeweiligen Bevölkerung versprochen wurde. Diesmal jedoch droht das Scheitern des Neoliberalismus zum Scheitern der demokratischen politischen Regime zu werden, die ihn hervorgebracht haben, verschärft durch eine ökologischen Notlage. Daraus folgt, dass wir dringend eine Wiederbelebung des analytischen Pluralismus in jeder demokratischen Regierung, sowie einen nicht-utopischen kritischen Realismus über das wahre Ausmaß der ökologischen Krise brauchen, um unsere notwendigerweise unterschiedlichen Übergänge zu insgesamt nachhaltigeren und anpassungsfähigeren politisch-ökonomischen Institutionen zu untermauern.
Über die Vortragende:
Abby Innes is Associate Professor of Political Economy at the European Institute, London School of Economics. Her research and teaching background is in the political economy of Central and Eastern Europe. Following the advent of Brexit, however, she wanted, as a British national, to better understand the causes of state failure in the UK, and the book Late Soviet Britain: Why Materialist Utopias Fail (Cambridge University Press2023) is her attempt at a synoptic account. Since 2023 Abby’s teaching and research interests are in the political economy of the green transition and the challenges of moving real economies from the high modernist strategies of liberal environmentalism and green Keynesianism to more ecologically congruent development strategies rooted in the natural sciences.
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Abby Innes ist außerordentliche Professorin für politische Ökonomie am European Institute, London School of Economics. Ihr Forschungs- und Lehrhintergrund liegt in der politischen Ökonomie Mittel- und Osteuropas. Nach dem Brexit wollte sie als Britin die Ursachen des Staatsversagens im Vereinigten Königreich besser verstehen und veröffentlichte das Buch Late Soviet Britain: Why Materialist Utopias Fail (Cambridge University Press, 2023) ist ihr Versuch einer zusammenfassenden Darstellung. Seit 2023 liegen Abbys Lehr- und Forschungsinteressen in der politischen Ökonomie des grünen Übergangs und in den Herausforderungen, die sich aus der Abkehr von den hochmodernen Strategien des liberalen Umweltschutzes und des grünen Keynesianismus hin zu ökologisch kongruenteren, in den Naturwissenschaften verwurzelten Entwicklungsstrategien ergeben.