Künstliche Intelligenz als fiktionale Erzählung und als wissenschaftliches Forschungsprojekt (Henri Schmit)
Datum: 11.04.2016 (20:00:00–22:30:00)
Ort: Alte Jakobstr. 12 / Ecke Ritterstr. (Tiyatrom Theater), 10969 Berlin
Künstliche Intelligenz (K.I.) ist gerade in aller Munde. Aber was ist es, das uns an der künstlichen Intelligenz so fasziniert? AlphaGo, von Google DeepMind entwickelt, hat vor knapp einem Monat den Go-Meister Lee Sedol, der als einer der weltbesten Profispieler angesehen wird, geschlagen. Dies ist gleichzusetzen mit der Niedelage des Schachweltweisters Garri Kasparow gegen den Schachcomputer Deep Blue im Jahr 1997. Menschen, die weder Go noch Schach spielen, scheint dies nicht zu berühren. Wir spüren aber, dass es um mehr geht als um Brettspiele. Es geht um uralte philosophische Fragen, z.B. darum, wer oder was wir Menschen sind und sein können als Individuen und als Spezies. Sind wir wirklich in der Lage, eine künstliche Intelligenz zu erschaffen, die intelligenter ist als wir selbst? Was kann das Individuum und was kann die Menschheit als Ganzes erreichen? Die Antwort, die wir uns auf diese Fragen geben, bestimmt das Selbstbild, das wir von uns haben.
Das Selbstbild ist deswegen wichtig, weil die menschliche Intelligenz der K.I. Forschung als Vorlage, als Vorbild dient. Das bedeutet, die Art und Weise, wie wir uns selbst begreifen und sehen, bestimmt in gewisser Weise den Horizont und die Grenzen und somit den Forschungsrahmen der K.I. Neue Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung tangieren automatisch unsere Vorstellungen von genuin menschlichen Eigenschaften, bzw. dem Wesen des Menschen. Und es deutet viel darauf hin, dass der Fortschritt in der K.I. Forschung das Selbstverständnis und das Selbstbild des Menschen in Zukunft noch stärker bestimmen und verändern wird, als die digitale Revolution dies in den vergangenen Jahrzehnten getan hat. So gesehen ist die Faszination, die von der K.I. ausgeht, leicht nachvollziehbar.
Weniger leicht nachvollziehbar ist die Diskrepanz, die sich zwischen den fiktionalen Erzählungen der K.I. und dem faktischen Forschungsstand der K.I. auftut. Künstliche Intelligenz ist ein gängiges Thema im Science Fiction Genre. Schaut man sich die Filmgeschichte der K.I. an, erkennt man, dass eine Handvoll Themen in unzähligen Variationen dramaturgisch in Szene gesetzt wurden und werden. Die zentralen erzählerischen Motive von Mainstream K.I. Filmen kreisen vor allem um den Menschen und nicht um die K.I. Im Film dient die K.I. als Projektionfläche, um uralte Ängste und Hoffnungen in einem futuristischen Rahmen neu auszudeuten. Das Problem ist eine Art irregeleiteter Anthropomorphismus: Es wird den Rezipienten suggeriert, dass eine denkende Maschine so arbeitet wie sie, so ist wie sie. Damit die Zuschauer mit den Protagonisten eines Films mitfiebern, müssen sie sich mit den Interessen, den Werte, den Emotionen, der Protagonisten identifizieren und sie tun das nur, wenn die Protagonisten, auch wenn es sich um K.I. Protagonisten handelt, menschlich daher kommen. Genau dazu ist die heutige K.I. aber (noch) nicht fähig. Sie besteht aus unsichtbaren Programmen, die sich selbst verbessern oder in der Lage sind gleich neue Programme zu schreiben, oder sie befindet sich als Software in Nanotechnologie, die so klein ist, dass sie nur unter dem Mikroskop sichtbar wird. Trotzdem, oder gerade deswegen, hat die K.I. das Potential den Menschen Angst zu machen. Was also unterscheidet die künstliche Intelligenz als fiktionale Erzählung von der K.I. als wissenschaftliches Forschungprojekt?
Über den Vortragenden:
Henri Schmit, Jahrgang 1969, wurde als Sänger und Musiker der luxemburger Band „Zen and the Art of Motorcycle Repairing“ bekannt. Ab 1996 wandelte er auf Solopfaden in London. Seit 2000 lebt er in Berlin und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Kunst und Philosophie.