Jean-François Lyotard und die Postmoderne nach 30 Jahren (Walter Reese-Schäfer, Georg-August-Universität, Göttingen)
Datum: 25.04.2022 (20:00:00–22:00:00)
Ort: Online-Veranstaltung via Zoom
Die Magie der Postmoderne
Lyotards wirkmächtigstes Buch war Das postmoderne Wissen. Er war unter den internationalen Stars der Theorie einer der ersten, der auf höchstem philosophischen Niveau, weit oberhalb der naiven Rhetorik einiger damals schon mit diesen Themen vertrauten IT-Nerds, die zu jener Zeit auf breiter Basis sich durchsetzenden neuen Informationstechnologien in den Blick genommen hat. Sein Plädoyer für Freiräume und kreative Offenheit, seine Polemik gegen eine Performanz, die allein auf kurzfristige Profite ausgerichtet war, ist heute zu einer breiten, sogar vom Universitätssystem und einigen Regierungen unterstützten Open-Access-Bewegung geworden. Das postmoderne Wissen ist 2019 in 9. Auflage erschienen und wirkt weiter.
Das liegt an drei Faktoren: Durch seine an Wittgenstein orientierte Sprachspielkonzeption hatte Lyotard eine philosophische Fundierung erreicht, die in diesem Feld bis dahin unbekannt war. Der zweite Faktor war die Verknüpfung der neuen Informationswelt mit der Überwindung der großen Erzählungen. So ist sein Denkmodell auch heute in den Zeiten von Großkonzernen der Informationstechnologie nicht veraltet. Drittens bleibt der Versuch des Entwurfs einer neuen postmodernen Wissenschaft auf der Basis von eingebauten Unregelmäßigkeiten, die er mit den philosophischen Begriffen Paradoxien und Paralogien markierte.
Lyotards Lehre von der Postmoderne hat wegen seiner Bejahung chaotischer Innovationsmodelle weit über den wissenschaftstheoretischen und technisch-gesellschaftlichen Bereich hinaus ausgestrahlt auf die Malerei, die Welt der Ausstellungen und auf die ästhetische Theorie. Seine Bücher findet man heute in den meisten Kunst- und Museumsbuchhandlungen, deren Auslagen ohnehin intellektuell oftmals interessanter sind als die philosophischen Bücherkabinette.
Die Teilnahme ist kostenfrei und offen.
Den Zoom-Link zur Teilnahme an der Veranstaltung erhalten Mitglieder auf der MoMo-Einladungsliste automatisch zwei Tage vor der Veranstaltung. Weitere Interessenten schreiben bitte an info@momo-berlin.de und erhalten dann ebenfalls den Teilnahmelink.
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Zum Vortragenden:
Prof. Dr. Walter Reese-Schäfer (Georg-August-Universität Göttingen. Lehrstuhl für politische Theorie und Ideengeschichte in Göttingen. Jetzt Emeritus).
Veröffentlichungen u.a.: Lyotard zur Einführung, 4. Aufl. Hamburg: Junius 2022, Niklas Luhmann zur Einführung, Hamburg: Junius Verlag 7. Aufl. 2022; Jürgen Habermas, Frankfurt/M. 2. Auf. 1994, Richard Rorty zur Einführung, Hamburg 2. Aufl. 2006; Karl-Otto Apel und die Diskursethik, 2. Aufl. Wiesbaden: Springer Nature 2017. Ideengeschichte als Provokation. Schriften zum politischen Denken. J. B. Metzler/Springer Nature Stuttgart 2019; Deutungen der Gegenwart. Zur Kritik wissenschaftlicher Zeitdiagnostik. J. B. Metzler/Springer Nature: Stuttgart 2019; Grenzgötter der Moral. Der neuere europäisch-amerikanische Diskurs zur politischen Ethik, 2. Aufl. Wiesbaden 2012.; Politische Ethik unter Realitätsbedingungen. Die Welt von Gewalt, Lügen und Skandalisierungen, 2. Aufl. Wiesbaden: Springer VS 2017. Als Herausgeber: Walter Reese-Schäfer (Hg), Handbuch Kommunitarismus. Springer VS Wiesbaden 2019