Die Frage der Wertebildung und Selbstentfaltung in der Intersubjektivität
Datum: 13.01.2008 (20:00:00–23:00:00)
Ort: (Diese Veranstaltung fand in privaten Räumen eines MoMo-Mitglieds statt.)
Das Thema des Wertes ist geschichtlich entweder mit Maß und Gesetz oder mit dem Angemessenen und Stimmigen verbunden. In die eine Tradition reihen sich die klassischen moralphilosophischen Diskurse und die aus dem Geist des deutschen Idealismus herausgewachsene klassische Psychoanalyse ein. Der andere Traditionsstrang knüpft an die alte Anthropologie an mit ihrer Frage nach der Subjektivität, dem Topos der Begegnung der Subjekte und der Grundfrage: Können Subjekte sich verstehen durch den anderen?
In diesem Spannungsfeld stehen grundsätzlich auch die gegenwärtigen philosophischen Diskurse zur Frage der Identität, der Seinsweise des Bildes und der Intersubjektivität, wobei vorwiegend die nominalistischen Theoreme – oft unbemerkt – einen argumentativen Schwerpunkt bilden. Zu der Konzeption einer (monotheistisch geprägten) nominalen Identität gehören das Primat der Schrift oder der argumentativen Rede, das Denken aus der Differenz, Psyche als verborgenes Skript und alle normativen Moraltheorien, die mit einem transzendentalen Ego als Repräsentanz einer Subjektivität rechnen.
Lévinas’ Theorie einer »Subjektivität ohne Identität« (einer Subjektivität, die unter der Herrschaft des absolut Anderen steht, des Gottes, der seine Spur als (Vor)-Schrift hinterlassen hat) setzt auf die Psychoökonomie des Bundes (so auch in der Liebe) mit seinen vertraglichen Selbstverpflichtungen. Ricœur wiederum verankert das selbstverpflichtende Moment im Wesentlichen nominal im Versprechen, wodurch eine Selbstheit im Wirkungsfeld einer narrativen Identität eine sich wandelnde Permanenz bezeugen soll und durch die Fähigkeit bestimmt wird, »sich für seine Taten haftbar zu halten.«
Auch Freuds Begriff des Unbewussten bezieht sich nur auf den Nominalismus, also auf die sprachliche Erfassung, Verdrängung und Umformung der libidinös besetzten inneren Wahrnehmungsfelder. Der platonische Gedanke der Einschreibung kehrt in Freuds Wunderblockprinzip wieder. Psyche wird hier als Skript vorgestellt, das sich durch die Rede des Analysanden konstruiert bzw. rekonstruiert. Freuds Konzept des Begehrens orientiert sich am platonischen Eros, der nie beim anderen ankommt, stattdessen sein eigenes Ich-Ideal begehrt im Namen des anderen. Hier geschieht die Verdinglichung der Idee des anderen. Dieser Sachverhalt führte dazu, dass in der klassischen psychoanalytischen Schule das Selbst in einer narzistischen Position thematisiert und dynamisch dargestellt worden ist. So spricht man dort von Selbstobjekten oder Triebobjekten.
Auch Lacan bestreitet, dass es im Unbewussten eine Repräsentanz des anderen als Subjekt gibt. Die Andersheit ist das, was man nicht ist, aber zu haben wünscht oder hasst. Der andere wird durch den Blick objektal vereinnahmt, ohne zu sehen, wie der andere ist und wie eine Ebenbürtigkeit mit ihm lebbar ist. Zugleich erfährt das Subjekt sich im Begehren des anderen als Objekt. Ein Selbst gibt es nicht. Lacan geht von einer Andersheit aus, die unverstehbar und nur als solche anzuerkennen sei. Psyche wird gleichgesetzt mit Rede.
Sinnverstehen heißt aber, im Bilde anzukommen, indem inneres Hören und sehendes Sehen (im Gegensatz zu wiedererkennendem Sehen) sich mit Gespür für das Angemessene zu inneren Zeitverhältnissen formen. Hier ist man auf der Ebene der Werte und Verhältnismäßigkeiten und bräuchte einen Bild- und Bildungsbegriff jenseits von Rhetorik und Vorschriftlichkeit, der für ethische und ästhetische Prozesse angemessen ist.
Neuere Positionen in der Psychoanalyse besinnen sich auf die frühe Phänomenologie (Scheler, Heidegger). Sie rücken die Theorien der Selbstpsychologie und Ergebnisse der modernen Säuglingsforschung in einen entschieden intersubjektiven Kontext und gehen von einer nichtsprachlichen Spur im Unbewussten aus. Entspricht dies noch der Wertkonzeption der klassischen Psychoanalyse?
Künstler haben sich eh und je eher mit Fragen der Bildlichkeit als mit dem Nominalismus beschäftigt. Der künstlerische Prozess impliziert immer ein Herantasten an die Immanenz des Mediums. Erst dadurch kommt die Notwendigkeit einer Ethik zum Tragen, nämlich wieweit die Anderheit des sich formenden Werks gelassen werden kann. Zentrale Fragen für den Künstler sind, ob ein Werk oder eine Handlung in seinem Sinne ist – aus dem Eigensinn geschöpft – oder in einem fremden Sinn; und wie er der Imitation und der reproduktiven Tendenz der Einbildungskraft entkommt. Und wer prüft das? Geht das ohne Selbst?
Im Vortrag sollen ein paar Gedanken zu einer nichtnominalen Identität zur Diskussion gestellt werden.
Ein Vortrag von Christine Ehrlich.