Alles nur Machtstreben? Zum Menschenbild von Panajotis Kondylis (Wolfgang Sohst)
Datum: 10.10.2016
Ort: Alte Jakobstr. 12 / Ecke Ritterstr. (Tiyatrom Theater), 10969 Berlin
Die weltweit entflammte Diskussion über die soziale Identität des einzelnen Menschen und ganzer Gesellschaften führt inzwischen auch in Europa zu gefährlichen Verwerfungen. Ein beliebter Topos in der "Anthropologie" der Neuen Rechten ist hier die Betonung des Primats des Selbsterhaltungstriebes im Menschen. Dessen unmittelbarster Ausfluss soll ein unstillbares Machtstreben sei. Einer der modernsten Exponenten dieses Menschenbildes ist Panajotis Kondylis (1943-1998), der, obwohl er sich selbst als vollkommen ideologisch abstinent bis hin zum Nihilismus bezeichnete, durch seine Argumentation doch immer wieder reichlich theoretische Nahrung für entsprechende politische Kampfrufe liefert.
In seinem Vortrag wird Wolfgang Sohst zeigen, dass das Ideologem der Machtsteigerung als im Grunde einzige Handlungsmotivation des Menschen nicht nur wohl bekannte Wurzeln hat - hier ist neben Nietzsche vor allem auch sein Zeitgenosse Herbert Spencer zu nennen, der Erfinder des Sozialdarwinismus und der griffigen Formel des "survival of the fittest", die bis heute noch in vielen Kreisen ideologisch gefeiert wird -, sondern in Ergänzung einer extrem reduktionistischen Anthropologie auch auf einem bestimmten und nachweislich falschen Verständnis sozialer Normen beruht.
Als aktuelles Modell einer entsprechenden Lehre, die im großen gesellschaftlichen Diskurs nur am Rande philosophisch ist, ihre eigentliche Wirkung aber auf dem Feld der politischen Auseinandersetzungen zeitigt, dient in diesem Vortrag die anthropologische Theorie von Panajotis Kondylis, einem griechischen Philosophen, der als junger Erwachsener nach Heidelberg kam und hier auf Deutsch ein umfangreiches Werk verfasste. Neben seinen frühen Schriften, darunter insbesondere sein weithin anerkanntes Buch über die Aufklärung ("Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus", Meiner Verlag, 2. Aufl. 2002) wandte er sich später immer stärker der politischen Philosophie zu, beginnend mit "Macht und Entscheidung. Die Herausbildung der Weltbilder und die Wertfrage" (Klett-Cotta, 1984) bis hin zum posthum erschienen voluminösen 1. Band einer Sozialontologie "Das Politische und der Mensch" (Akademie Verlag, 1999). Kondylis' Anthropologie ist ein Musterbeispiel für eine Philosophie, die in anderer Absicht geschrieben wurde als ihre heutige tatsächliche Wirkung ist. Es lohnt sich, seine Argumentation - stellvertretend für viele ähnliche - zu kennen.
(Die obige Illustration entstammt einer aktuellen ironischen Werbung eines amerikanischen Anbieters von Kuriosa, siehe: http://www.philosophersguild.com/Will-to-Power-Bar.html)
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Wolfgang Sohst (* 1956) ist Gründer und Inhaber des xenomoi Verlages, Berlin, und freischaffender Philosoph. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die analytische, naturwissenschaftlich basierte Metaphysik (Ontologie), aber auch die Sozialphilosophie und Normentheorie.