Philosophen im Weltall. Reflexionen auf die Technik im Jahrzehnt der Raumfahrt.

Datum: 27.07.2008 (20:00:00–23:00:00)

Ort: (Diese Veranstaltung fand in den privaten Räumen eines MoMo-Mitglieds statt.)

(Ein Vortrag von Rüdiger Zill.)

Die sechziger Jahre waren das Jahrzehnt der Raumfahrt. Eingeläutet wurde es mit dem Start des Sputnik 1957, zu seinem Höhe- und gleichzeitig auch Endpunkt kam es mit der Mondlandung 1969. Nie zuvor und nie wieder danach fand der Weltraum eine so große Resonanz im öffentlichen Bewusstsein hier auf Erden wie zu dieser Zeit. Astro- wie auch Kosmonauten waren Helden, deren Namen jedes Kind kannte und die von einer speziellen populären Literatur gefeiert wurden. Nach Apollo 11 wurde der Weltraumverkehr – obwohl oder besser: weil er de facto noch zunahm – schnell Routine. Hinzu kam mit den siebziger Jahren eine schnell wachsende Technikskepsis.

Ruediger Zill: Sputnik

Aber wie haben eigentlich die Philosophen darauf reagiert? »Lieber Verehrtester«, schreibt Hannah Arendt am 4. November 1957 – also einen Monat, nachdem der Sputnik gestartet ist – in einem Brief an Karl Jaspers, »Was denken Sie von unseren zwei neuen Monden? Können Sie sich mit Mondfahrten befreunden? Und was mag wohl der Mond denken. Wenn ich der Mond wäre, würde ich übelnehmen.« Jaspers dachte nicht viel, zumindest ist nichts überliefert. Sieht man von wenigen Ausnahmen ab – wie zum Beispiel Gotthard Günther, der schon in den fünfziger Jahren seine Reflexionen zur Raumfahrt veröffentlichte, allerdings an nicht standesgemäßen Orten wie z.B. den Vorworten von Science Fiction-Romanen – so gibt es zunächst fast nur beiläufige Bemerkungen zu dem Jahrhundertereignis. So zum Beispiel in der Einleitung von Hannah Arendts The Human Condition, aber auch in Lewis Mumfords Der Mythos der Maschine.

Ruediger Zill: Wernher von Braun

Mumford vergleicht die Kapsel der Apollo-Raumschiffe mit der Grabkammer einer ägyptischen Pyramide. Hat den Pharaonen das Grab als Vehikel zu einer Reise ins außerirdische Jenseits gedient, so ist das moderne Vehikel für außerirdische Reisen letztlich nichts anderes als ein bewegliches Grab: »In beiden Fällen dienen die höchsten Errungenschaften der Technologie dazu, eine menschliche Mumie in ihrem Zustand suspendierten Lebens zu halten.« Aber Mumford hatte lediglich eine relativ simple Machttheorie im Kopf, nach der eine Kaste von Politikern und Technikern durch die Großtechnologie die Menschen unterjocht. Subtiler wird die Diagnose bei Günther Anders gestellt.

Ruediger Zill: Raumkapsel

Anders ist der einzige Philosoph, der der Weltraumfahrt ein ganzes Buch gewidmet hat: Der Blick vom Mond, erschienen 1970, aber hervorgegangen aus Artikeln, die er im Laufe der sechziger Jahre u.a. für den Merkur geschrieben hat. Anders beklagt den Verlust des Helden. Die Eroberer des Weltraums sind keine Heroen mehr wie die Entdecker und Eroberer des 19. Jahrhunderts, sie sind zu Maschinenteilen geworden. Dementsprechend sind sie auch als Charaktere durch und durch medioker. Dennoch erlauben sie zum ersten Mal eine besondere Art der Selbstreflexion. Als wichtigstes Ergebnis der Raumfahrt gilt Anders nicht irgendein naturwissenschaftlicher Ertrag, nicht die Erkundung des Raums und schon gar nicht des Monds. Das wichtigste ist für ihn, dass dieser Flug ins All den Blick zurück gestattet. Zum ersten Mal sieht sich die Erde von außen, zum ersten Mal können wir uns visuell selbst begegnen.

Ruediger Zill: Genzken

Ein ganz ähnlicher Gedanke ist auch für den zweiten wichtigen deutschen Philosophen, der sich ausführlicher mit der Thematik auseinandergesetzt hat, von großer Bedeutung: für Hans Blumenberg. Dessen Überlegungen sind aber erst in seinem Nachlassband Die Vollzähligkeit der Sterne in voller Tragweite sichtbar geworden. Blumenberg bildet den Gegenpol zu Anders. Nicht als Antwort auf den Sputnik, aber als Antwort auf die im Gefolge des Sputnikschocks im Westen ausbrechende Forschungshysterie gründet er die von ihm ironisch so genannte »Astronoetik«, »als leise Ausbildung einer Umkreisung des Begriffs von Theorie aus der instrumentellen Ohnmacht und dem Schwund des Spektakulären heraus: Wie befand man sich in dieser Welt von Welten und zu ihr? Was blieb den Daheimgebliebenen der Astronautik?«

Ruediger Zill: Orion

Beiden, Anders wie Blumenberg, ging es nicht um die Technik as such, sondern vor allem um deren Auswirkungen auf die Lebenswelt.

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