Erinnerte Schleifung – geschleifte Erinnerung.
Datum: 28.09.2008 (20:00:00–23:00:00)
Ort: (Diese Veranstaltung fand in den privaten Räumen eines MoMo-Mitglieds statt.)
(Ein Vortrag von Susanne Klengel und Andreas Gipper.)
Grüne traute Stadt am Rheine,
Ach, ich kenne Dich nicht mehr! –
Seh’ ich Dich im Abendscheine
Wird mir’s Herz so bang und schwer! –
[…]
Karl Räder, »Germersheim, einst, jetzt und später«,
in: Die Pfalz am Rhein 13 (1930)
Die ›memoriale Topologie‹, die Frage also nach der Raum-Struktur kultureller Erinnerung, ist schon seit längerer Zeit ein zentrales Thema in der internationalen kulturwissenschaftlichen Theorie und Praxis. Der heutige Begriff ›Erinnerungsort‹ geht wesentlich auf Pierre Noras metahistorisches Werk Les lieux de mémoire (1984-1992) zurück. Er existiert inzwischen in verschiedenen Sprachen und wird in sehr heterogenen kulturellen Kontexten verwendet, wo er jeweils spezifische Wirkungen entfaltet hat.
Die komparatistische Reflexion über die Verschiedenheit der ›Erinnerungsorte‹ und die Frage nach der aktuellen diagnostischen Reichweite dieses Begriffs stellt daher für eine interkulturell orientierte Kulturwissenschaft eine interessante Herausforderung dar.
Vor diesem Hintergrund haben wir uns kürzlich aus fachlichem und persönlichem Interesse die Aufgabe gestellt, uns mit Hilfe dieses Konzepts den Ort unserer alltäglichen beruflichen Aktivitäten genauer zu betrachten: Als Romanisten und Kulturwissenschaftler wollten wir den Diskurs über die Geschichte der süd-pfälzischen Festungsstadt Germersheim am Rhein besser verstehen, der uns in Form höchst unterschiedlicher Erzählungen und Anekdoten begegnet war.
Den Auslöser für diese heterogenen Geschichts- und Erinnerungsbilder bilden stets die eindrucksvollen Überreste einer monumentalen Festungsanlage des 19. Jahrhunderts, die nach dem Ersten Weltkrieg in Erfüllung der Auflagen des Versailler Vertrags geschleift werden musste.
Im Ergebnis meinen wir, dass die Festung Germersheim ein aufschlussreiches Beispiel bietet für jene ambivalenten, beinahe paradoxen Erinnerungsorte – hier sei auf Étienne François’ und Hagen Schulzes Deutsche Erinnerungsorte verwiesen –, an denen sich gegenläufige Erinnerungsdiskurse kreuzen. Sie befinden sich oftmals in Grenzterritorien und lassen sich schwerlich dem Repertoire einer bestimmten nationalen memorialen Topologie zuordnen.