Der physikalische Irrsinn: Das Davidson-Programm (Rainer Reusch)
Datum: 11.01.2016 (20:00:00–22:30:00)
Ort: Alte Jakobstr. 12 / Ecke Ritterstr. (Tyatrom Theater), 10969 Berlin
... und was die Kunst in Gestalt von Gerhard Richters Werk dem entgegenzusetzen hat.
Vortrag von Rainer Reusch.
Davidson hält den Physikalismus für einen der hartnäckigsten philosophischen Verblendungen. Dieser Physikalismus hat den Begriff des Geistes selber eliminiert. Allein die Gesetze der Logik und Aussagen der Physik werden zugelassen. Auch die Wissenschaften erscheinen im Prinzip als nichts anderes als erweiterte Physik. Chemie versteht man als Theorie der Moleküle und deren Verbindungen, Biologie ist organische Chemie und die Humanwissenschaften versteht man als Zweig der Molekulargenetik und der Neurobiologie. Gesellschaft, Kultur und Geschichte münden schließlich in einen Reigen materieller Strukturen. Es liegt nur am Ungenügen unserer theoretischen Mittel, sie noch nicht bis zu den letzten Verästelungen ihrer atomaren Determination zurückverfolgen zu können.
Diese naturwissenschaftliche Haltung birgt den Skandal der vollständigen Reduktion all dessen, was wir mit der Sphäre des Geistigen verbinden: die Autonomie des Menschen, die Freiheit seiner Entscheidung, die selbständige Gestaltung der Symbolisierungen, die erfinderische Leistung der Kreativität, das Gebot der ethischen Verantwortung.
Der eigentliche Skandal ist der, dass der Physikalismus unwiderleglich wirkt: Es gibt nur die eine Natur, in der sich das Universum mit seinen Milliarden von Sonnensystemen ebenso gebildet hat wie die unterschiedlichen Formen des Lebens bis zur Evolution des Menschen, der sie als einziger an zu schauen und theoretisch zu erfassen vermag. Alles wird erklärt mit dem Urknall, dem Anfang der Zeit. Weiteres, womöglich Religiöses ist nicht gestattet.
Kant hält dagegen: „ dass wir den Menschen in einen anderen Sinn und Verhältnis denken, wenn wir ihn frei nennen, als wenn wir ihn, als Stück der Natur, diesen Gesetzen für unterworfen halten.“ Hier setzt nun Davidsons analytische Philosophie an. Er will die Verbindung von Physikalismus und Freiheit behaupten, einer Anomalie des Geistes. „Was „Denken“ heißt und wie ein Gedanke entsteht, bleibt das unvergleichliche Wunder, für das die Naturwissenschaft allein keine Sprache hat. Es gibt daher keine physikalische Theorie des Geistes, doch bedeutet diese Unmöglichkeit keine ontologische Differenz, sondern eine diskursive. Geistige Prozesse werden durch mentale Kategorien beschrieben, physische durch physikalische. Durch die Wissenschaft der Physik lassen sich geistige Ereignisse als Klasse nicht erklären. Die Anomalie des Geistigen ist demnach eine notwendige Bedingung dafür, das Handeln als etwas Autonomes zu sehen. Davidson hält damit an einer nicht zu überbrückenden Kluft zwischen Geist und Materie fest. Gleichzeitig weist er jeglichen Leib-Seele-Dualismus zurück.
Davidson hat kein systematisches Werk verfasst. Er betreibt eine Philosophie denkbarer Möglichkeiten, eine Philosophie im Konditional – ähnlich der Mathematik. – Dabei vollzieht er eine Dekonstruktion des gesamten bisherigen Selbstverständnisses der Analytik. Es geht nun um Interpretation. Dabei ist es sinnlos, die Wahrheit der Bedeutung oder die Bedeutung der Wahrheit vorhergehen zu lassen: Unsere Auslegungen von Welt sind nicht von dem zu unterscheiden, was wir von ihr zu wissen glauben. Bedeutung gründet also nicht in außersprachlichen Sinnesdaten. Also hinaus aus den Dogmen als logischen Empirismus. Wir haben über das, was wir jeweils wahrnehmen und ausmachen können, immer schon bestimmte Anschauungen und Meinungen (eine mediale Vorprägung also (siehe Peter Trawny: „Technik.Kapital.Medium - Das Universale und die Freiheit“, Matthes & Seitz, Berlin 2015). Sie gehen nicht in schlichtem Eins-zu-eins-Beziehungen zwischen Sprache und Realität auf, sondern sie betreffen ein Ganzes. Es gibt nichts, kein Ding, das Sätze und Theorien wahr macht! Begriff und Gehalt, Satz und Bedeutung bleiben ununterscheidbar. Dualismus von Schema und Inhalt, von ordnendem System und etwas, was darauf wartet, geordnet zu werden, lassen sich weder verständlich machen, noch rechtfertigen. Insofern fällt das Dogma des Empirismus. So heißt Wissenschaft nicht mehr länger eine Menge von Erfahrungen, sondern allein eine Menge an Deutungsversuchen, in denen Wahrheit und Überzeugtsein immer schon immanent ist.
Das Skript zum Vortrag kann hier heruntergeladen werden.
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Der Vortragende:
Rainer Reusch ist Künstler und Philosoph: Staatsexamen als Philosophie-, Kunstlehrer, Kunsthistoriker. Diplom FH als Typograph und Grafiker. Tätigkeit als Kirchenmaler und philosophischer Lebensberater (philos. Therapie und Praxis)
derzeitige Tätigkeit: Kunstphilosoph.