Der Traum vom neuen Ich. Konzepte dynamischer Identität nach Charles Taylor
Datum: 18.03.2007 (20:00:00–23:00:00)
Ort: (Diese Veranstaltung fand in privaten Räumen eines MoMo-Mitglieds statt.)
In seinem monumentalen Werk Die Quellen des Selbst (1996/i.O. 1989) unternahm Charles Taylor den Versuch, die Geschichte der personalen Identität oder des Selbst in der abendländischen Kultur als das Wechselspiel von Individuum und Gesellschaft auf der Grundlage des jeweils allgemein vorgegebenen moralischen Verhältnisses eines Individuums zum Ganzen darzustellen. Das sogenannte Selbst ist nach Taylor also im Kern ein moralisch verfasstes Selbst; dies jedoch nicht im Sinne eines beengten, von moralischen Vorschriften gefesselten Individuums, sondern im Sinne eines Menschen, der von sich selbst aufrichtig in seiner jeweiligen Epoche sagen kann: Ich bin ein guter Mensch.
Taylors Werk endet freilich in Ratlosigkeit. Er weiß nicht, auf welcher verbindlichen Grundlage der heutige, westlich sozialisierte (und zumindest in Europa mehrheitlich säkular orientierte) Mensch von sich noch sagen könnte, er sei ein guter Mensch oder führe ein gutes Leben. Die Quellen des Selbst stellen uns folglich vor die Frage, ob wir – unter der Voraussetzung, dass wir die Verknüpfung von personaler Identität und moralischer Verfasstheit in der von Taylor entworfenen Form akzeptieren – den Anknüpfungspunkt seiner Perspektive an die Gegenwart so zu rekonstruieren vermögen, dass das Taylorsche Verfahren der Herstellung personaler Identität auch heute noch anwendbar ist. Sollte eine solche Rekonstruktion prinzipiell unmöglich sein, müsste sich das westlich sozialisierte Individuum womöglich von der Hoffnung verabschieden, sein Leben und damit seine personale Identität noch auf einer glaubwürdigen Skala guter Existenz messen zu können.
Ich will in meinem Vortrag im Anschluss an Taylor einige Bedingungen der Möglichkeit moralisch fundierter personaler Identität erkunden, die auch unter heutigen Bedingungen noch erfüllbar sein könnten. Der Vortrag wird zunächst den Begriff des Guten bei Taylor genauer zu entschlüsseln versuchen, um dann, auch unter Einbeziehung einiger soziologischer Kategorien, das Rahmenwerk einer sogenannten »dynamischen Identität« zu skizzieren.
(Ein Vortrag von Wolfgang Sohst.)