Das gute Leben - der Gute Mensch
Datum: 19.10.2014 (20:00:00)
Ort: Café Lupus, Pannierstr. 40 (Ecke Pflügerstr.), 12047 Berlin
(Vortrag von Lennart Nørreklit.)
Das Gute hat seine Gründe: Der Begriff des Guten ist an sich nicht eine Benennung von irgendetwas, das das Gute ist. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht auf die vorhandene Welt bezogen werden kann, wie es Hume's Guillotine oder Moore's Offene-Frage-Argument vermuten lassen. Der Begriff wird zur Beurteilung und zum Vergleichen gebraucht: "Gut, besser, am besten" oder "schlecht, schlechter, am schlechtesten" und sogar "böse". Der Begriff hat eine logische Eigenschaft, die dieses ermöglichen: Die Behauptung, etwas sei gut, muss immer hinterfragt werden können: "Warum ist es gut?" Die Antwort dieser Frage ist der Grund. Ob eine oder mehrere Antworten / Gründe gegeben werden können, ob sie wahr sind oder nicht, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass die Frage eine Antwort verlangt. Und wenn diese Antwort nicht gefunden werden kann oder wenn sie nicht glaubwürdig ist, dann ist die Behauptung, das etwas gut sei, in Frage gestellt. Die Verbindung vom Guten zum Sein wird also nicht durch den Sinn, sondern durch das Begreifen der Gründe hergestellt.
Da es eine Vielfalt von Gründen gibt, ist eine hierarchische Ordnung der Gründe nötig um sie im Leben praktisch verwenden zu können. Als Oberbegriff dieser Hierarchie gilt allgemein das ‚gute Leben‘. Ein alternativer Oberbegriff ist: ein guter Mensch. Was ist wichtiger und wollen sie lieber: Ein gutes Leben haben oder ein guter Mensch sein? Das erstere erfasst das Haben das andere das Sein als grundlegend. Das erste Betriff was man sich egoistisch gern vom Leben wünscht. Das letzte betrifft die Ethik, und somit letztendlich was man von sich selber wünscht. Der Vortrag konzentriert sich auf das gute Leben - ohne das zu verstehen weiß der gute Mensch ja nicht, was er anstreben soll.
Durch die Logik des Begriffs des Guten ist die Frage nach dem guten Leben somit eine Frage nach den Gründen so oder anders zu leben. Antworten dieser Frage, warum wir leben (d.h. Gründe, nicht Ursachen), sind nicht absurd und undenkbar, sondern überraschend einfach, klar und anscheinend unwiderlegbar: Positive Gründe zu leben sind: "Ich liebe das Leben", "Ich finde das Leben schön", "Ich mag das Leben", "Ich genieße das Leben" etc. Negative Gründe sind zum Beispiel: "Ich lebe weil ich Angst vor dem Tod habe", "Ich lebe um Rache zu bekommen." Oder das ganz grundlose: "Ich lebe weil ich esse..." "Ich lebe weil ich einen Trieb zur Selbsterhaltung habe." Negative Gründe wurzeln in schmerzhaften Lebenserfahrungen und sind eher als eine letzte Verzweiflung denn als ein Grund zu leben zu verstehen.
Die Konklusion hieraus ist: Amo ergo sum. Dieses "ergo" bezeichnet einen Grund - im Gegensatz zu dem cartesischen: "Cogito ergo sum", das eine logische Folgerung oder z.B. eine Identität darstellt, aber keinen Grund. Der oberste Grund in der Hierarchie ist also unsere Liebe. Die Vernunft - das Organ der Gründe - soll deshalb dieser Liebe dienen. Das heißt auch: Philo-Sophia. Die menschliche Liebe (Philea, traditionell im Gegensatz zur Agape, der göttlichen Liebe und dem Eros als sexuell begehrender Liebe) bringt die Konzentration, die ständig sorgende Aufmerksamkeit, die das Erkennen und die Entwicklung ermöglichen. Menschen sind kreativ und produzieren Entwicklung, wenn und weil ihr Weltverhältnis von Liebe kontrolliert ist.
Liebe: Es gibt drei komplementäre Formen einer solchen Liebe: die existentielle, universelle und individuelle bzw. subjektive Liebe. Die existentielle ist die Liebe zum Leben. Sie ist die wichtigste unter den Menschen. Durch die existentielle Liebe gegenüber dem Anderen erfahren / erleben wir das Leben zu lieben. Die universelle Liebe ist die Liebe zur Welt im Allgemeinen, daran anschließend zum Menschen in allgemeinen. Diese Liebe ist entscheidend, um Konflikte und Verluste zu überwinden. Es ist aber die individuelle oder subjektive Liebe, die alleine das Leben organisieren kann. Subjektive Liebe bezieht sich auf alle Dimensionen im Leben: Unsere Nächsten, unsere Umgebung und Gegenwart, unser Tun und mehr.
Werte an sich sind durch den Wunsch nach Dauer ausgezeichnet. Wir wollen nicht das Wertvolle konsumieren und dadurch zerstören, sondern wir wollen es bewahren und blühen lassen. - Unsere subjektiven Werte, die uns einzig und allein motivieren, entspringen aus unsere Liebe. Unsere Werte zeigen sich in reaktive Gefühle weil diese Gefühle unsere Einschätzung der Wertelage in unserem Umfeld wiederspiegelt.
Unsere Selbstidentität ist durch unsere Liebe bestimmt. Da ist eine Grenze in meiner Welt: Auf der einen Seite das, was ich liebe, auf der anderen Seite das, was ich nicht liebe. Unsere Identität ist durch die erste Seite bestimmt. Obwohl man oft gezwungen ist, sich mit der anderen Seite zu beschäftigen, ist diese nur eine Bedingung der Welt in dem Sinne, dass sie als ein Mittel Wert erlangen kann. Obwohl die Gesellschaft unsere Geschichte, alle unsre Handlungen uns zuordnet, sind viele der Handlungen also nicht direkt Ausdruck unserer Identität, sondern folgen aus den Bedingungen der Welt.
Glück ist ein Begleitphänomen. Es kann nicht als Ziel funktionieren. Das Glück ist die Belohnung, die unsere Psyche uns gibt, wenn wir unsere Liebe, d.h. uns selbst, treu sind. - Wir tragen in und mit uns eine Erzählung, wer wir sind und was wir getan haben, und also auch, ob wir uns treu waren. Haben wir unsere Liebe in Stich gelassen, strafen wir uns mit negativen Gefühlen.
Liebe ist frei. Man kann sie nicht befehlen. Ein Gebot wie: "Du sollst xx lieben" ist nicht nur sinnlos, sondern ein Versuch, sich der Existenz des Anderen zu bemächtigen.
Sinn und Grund: Handeln aus Liebe hat Sinn. Die Liebe gibt den Sinn. Die Frage nach dem Sinn entsteht, wenn das Handeln nicht mehr aus Liebe folgt. Sinnvolles Handeln kann gut, es kann aber auch schlecht, sogar böse sein. Deshalb ist es notwendig, Sinn durch Vernunft, d.h. durch Gründe zu beurteilen.
Gründe - Handlungsgründe - sind subjektiv in der Person verankert, mit deren Werte und die Liebe.
Es gibt gute und schlechte Gründe. - Hier ist ein Zirkel: Das Gute setzt Gründe voraus. Gründe können aber gut oder schlecht sein. Also: Das Gute setzt gute Gründe voraus. Wir können alles beurteilen - auch unsere Gründe. Zur Entwicklung formaler Kriterien für gute Gründe gibt es die Logik. Als reale Kriterien gibt es a) Die Qualität des Wissens, und b) Die ethische Referenz auf die Gründe des Lebens.
Im existentiellen Ursprung des Einzelnen gibt es keine Wahl ohne Gründe. Eine solche Wahl wäre undenkbar. Der erste Entschluss, in dem der Mensch sich entscheidet zu sein, ist keine Wahl. Dieser Entschluss führt zwar zu einer Identitätsbestimmung, aber er kennt diese Identität nicht – dieser Vorgang ist ein Akte existentieller Willkür, auch ein existentielles Risiko. Dieser Entschluss wird von der existentiellen Liebe getroffen - kann aber aufgehoben werden. Alle persönlichen und sozialen Angriffe, die sich gegen die existentielle Liebe der Person richten, bereiten ihr Leid und bedrohen deren Existenz.
Lennart Nørreklit ist dänischer Philosoph, Professor Emeritus der Aalborg Universität, Doktor der Philosophie (Habilitation), Aalborg Universität, 1987, Magister der Philosophie, Aarhus Universität, 1971
Forschungsgebiet: Theoretische und angewandte Philosophie, hauptsächlich in gesellschaftswissenschaftlichen Gebieten mit Schwerpunkt auf den praxisbezogenen Disziplinen (Management, Sozialarbeit und mehr) zur Fundierung von problembasierten Studien- und Forschungspraktik. Beiträge zu ontologisch-epistemologischen Grundlagen, zur Logik und wissenschaftliche Methode so wie Beiträge über Werte, Liebe und ‚das gute Leben’.