Das Menschenbild der neuen intellektuellen Rechten

Ist das womöglich ihr Vorbild?

Das europäische Flüchtlingsproblem, das die unvermeidliche Konsequenz einer Jahrzehnte langen kriegerischen Großmachtpolitik im arabischen Kulturraum vor allem der USA ist, hat Kräften in der deutschen Gesellschaft Auftrieb gegeben, die bisher – zumindest in Deutschland – eher eine Randerscheinung waren. Diese gesellschaftlichen Kräfte werden, sofern sie sich mit gewaltgetränkten Parolen und Losungen hervortun, häufig mit den eher ungebildeten Kreisen der Bevölkerung assoziiert, auch Dauerarbeitslosen und anderen Menschen, deren politische Haltung man sich gerne mit allgemeinem Lebensfrust erklärt, der sich dann eben in rechtem Extremismus entlade.

Vielleicht. Es gibt aber auch eine "neue" Rechte, die inhaltlich zwar gar nicht so neu ist, wie sie von sich selbst gerne glauben macht, die sich aber von den erstgenannten Kräften und Kreisen darin unterscheidet, dass sie ihren Gefühlen nicht prügelnd auf der Straße, sondern in Zeitungen und Zeitschriften, gelegentlich auch im Fernsehen, Luft macht. Dort prügeln sie zwar nicht, sondern geben sich als intellektuelle Elite, die freilich genau die Bereitschaft zur Gewalt jener auf den Straßen stärkt, um deren Gunst sie buhlen.

Wer ist diese intellektuelle Rechte, die mit ihren ununterbrochen apokalyptischen Warnungen vor einer Spaltung und vor einer Überfremdung der Gesellschaft, gerne auch vor einer Ausplünderung der angeblich so fleißigen, kultivierten und treuherzigen Deutschen an die Öffentlichkeit drängt? Ich werde im Folgenden keine Namen nennen. Stattdessen werde ich kurz beschreiben, welches Menschenbild diese Intellektuellen vereint, und was das Giftige ihres geistigen Nahrungsangebots ausmacht.

Als Aufhänger rechts-intellektueller Gemeinschaft bieten sich Ausdrücke wie z.B. „Nation“, „deutsche Kultur“, „christliche Wertegemeinschaft“ bis hin zum schon ziemlich deutlichen Begriff „Rasse“ an. So simpel geht der neue deutsche Rechtsintellektuelle aber nicht zu Werke; man war bis zu seiner/ihrer Emeritierung schließlich irgendwo Professor für Philosophie oder Politikwissenschaft oder Ähnliches. Vielmehr beklagt er/sie ganz allgemein und zunächst unauffällig einen „schleichenden Identitätsverlust“, der ohnehin schon seit dem 1. Weltkrieg zu beobachten sei und nach dem 2. Weltkrieg schließlich seinen prekären Siegeszug angetreten habe. Nunmehr befänden wir uns also in einer „Massendemokratie“, seien überhaupt zur „Masse“ herabgesunken. Der Begriff „Masse“ ist hier nun stark polemisch geladen, denn soziale Masse ist nicht das Zusammensein von Individuen, sondern unterschiedsloses Material, Paste, Teig. Wie also konnte es nach der Logik der neuen Rechten dazu kommen, dass angeblich so intelligente, friedliche und kulturbegeisterte Menschen wie die Mitteleuropäer zur Masse, zum knetbaren Teig wurden? Hier rücken wir dem Kern des neu-rechten Menschenbildes schon näher: Es sei die Atomisierung aller gesellschaftlichen Identitäten durch den Sieg des Kapitalismus in zwei Weltkriegen gewesen, aus denen Deutschland als Verlierer hervorging, und der die alte bürgerliche Weltordnung des 19. Jahrhunderts irreversibel zerschlug. Man beachte das Amalgam altlinker und altrechter Kapitalismuskritik. Auch die Nazis verdammten bekanntlich eifrig die „Plutokratie“.

Dieser angebliche Zerstörungsakt (wobei nicht zu bezweifeln ist, dass in diesen Weltkriegen eine ungeheure Zerstörung angerichtet wurde; wohl aber waren die gesellschaftlichen Konsequenzen keine Zerstörung, sondern schlicht ein weiterer Schritt gesellschaftlicher Entwicklung) brachte nun angeblich Menschen hervor, die „entsubstanzialisiert“ seien, also quasi entkernt, und deren „ontologische Verschiedenheit“ von den Ideologen des bösen Neuen hartnäckig geleugnet würde. Fragt man nun aber nach, was denn diese vorgebliche Aushöhlung des heutigen westlichen Menschen ausmache, dass man ihn gleich zur Hülse degradieren und alle zusammen nur noch als Masse bezeichnen könne? – so lautet die Antwort, dass es, nun ja… die Antwortenden drücken sich hier regelmäßig um die Klarheit ihrer Position herum, weil sie sich deren Anstößigkeit bewusst sind. Aber sprechen wir ruhig aus, was sie selbst aussprechen, wenn man nur beharrlich genug nachfragt: Sie betrachten als „Substanz“ des Menschen vor allem dies: seine Nationalität, sein Geschlecht, seine Rasse und seine Religionszugehörigkeit. Sie wollen den Menschen also auf etwas festnageln, ohne das er nichts als ein Teigtropfen der Konsumentenmasse sei. Und wenn diese angebliche Masse auch noch auf Politiker trifft, die ebenfalls angeblich nichts anderes als deren endgültige Entmündigung im Sinn haben (so nämlich lautet der Vorwurf der neuen Rechten gegen den gegenwärtigen politischen Mainstream in Deutschland), dann sei der lamentable Untergang der gesamten deutschen/europäischen/westlichen etc. Kultur gänzlich unvermeidbar. So also lautet der Kampfruf, der dann letztlich und ganz krude bei den prügelnden Demonstranten auf den Straßen und bei in Flüchtlingsheimen zündelnden Kriminellen ankommt: Steht auf, ihr angeblich entrechtete Massen, befreit euch von eurer Entmündigung und verschafft den „hohen“ Werten wieder ihre alte Macht, als das wären: treudeutscher Sittlichkeit (*lach!*), strammer Nationalismus (intellektuell ungefähr so anziehend wie Mundgeruch beim Küssen), dem biologischen Geschlecht („einfach krank, diese Schwulen“) und der richtigen Religion (heißt: Jesus ist mein Liebster; wer das bezweifelt, hat nicht alle Tassen im Schrank). Als Bonus für Neurechts-Bekehrte gibt es dann noch einen Nachschlag in Rassismus und Eugenik, damit der „weiße Mann“ (von Frauen ist da seltener die Rede) nicht ganz verkümmert. Alle diese Begriffe behandeln wir im Heute Lebenden längst als museales Begriffsinventar unserer Großeltern. Woher aber kommt diese Auferstehung der Untoten nach so vielen Jahren erfolgreicher Emanzipation von ideologischer Narretei?

Nun, der Autor dieses Artikels ist kein Psychologe; außerdem wird das vorstehend beschriebene Weltbild von sehr unterschiedlich wirkenden Menschen vertreten, was auf eine ebenso unterschiedliche Motivation ihres tiefen politischen Pessimismus und ihrer Freude an apokalyptischer Aufstachelung schließen lässt. Mit den Empfängern ihrer faulen Lehre dürfte die neue intellektuelle Rechte allerdings eines gemeinsam haben: Frustration, worüber auch immer, z.B. über mangelnde Anerkennung im akademischen Sektor, vielleicht auch blankes Zurückbleiben gegenüber dem unvermeidlichen Fortgang der Geschichte („ich brauche kein Emailkonto; schicken Sie einfach einen USB-Stick per Post“). Sie übersehen geflissentlich, dass es die von ihnen geschmähte Gesellschaft ist, die ihnen fast alles gab, was sie in ihrem Leben schätzten, und dass sie doch immer zu den Privilegierten gehörten, die eigentlich überhaupt keinen Grund haben, sich zu beschweren, sondern über die wir uns vielmehr beschweren müssten, wenn etwas schief gelaufen sein sollte. Also alles nur vergorene Eitelkeit? Vielleicht; aber leider eine, die andernorts in spürbare politische Gewaltbereitschaft umgesetzt wird.

Wie sagte schon Anfang der 1990er Jahre Jean Baudrillard: Lasst euch nicht verführen! (ws)

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