Weibliche Kultur
Von Georg Simmel
Vorbemerkung
Das Verhältnis von Mann und Frau ist immer und überall ein intensiver Teil der menschlichen Geschichte gewesen. Relativ neu ist, dass "weiblich" und "männlich" als Seinsattribute nicht mehr unentrinnbar an das biologische Geschlecht gefesselt sind. Die westlich-akademische Genderdiskussion der letzten Jahrzehnte erreichte hierzu schon vor Jahren ihren Höhepunkt. Zu grob war häufig der Diskurs; das schadet der Substanz.
Die Sache geht in jedem Falle tiefer als grammatische Pflichtübungen oder die auf beiden Seiten der Geschlechtlichkeit hartnäckigen Vorurteile und dummen Gewohnheiten. Der Ausdruck "Geschlecht" selbst ist bereits fraglich: Meint er die biologische, psychologische, sexuelle, hormonelle oder soziale Zuordnung in einer bipolaren Einteilung aller Menschen? Wieviel Ebenen gibt es hier überhaupt? Sind die Skalen jeder dieser Ebenen tatsächlich bipolar aufgespannt, oder gibt es noch andere Formen, die von Männern und Frauen gleichermaßen unterdrückt werden?
Im Jahre 1911, also vor etwas mehr als 100 Jahren und nicht zufällig zu jener Zeit, als auch Sigmund Freud intensiv über Sexualität (dabei - Irgendwie - auch über die gesamte Geschlechterfrage) nachdachte, schrieb der schon zu Lebzeiten berühmte Philosoph und Soziologe Georg Simmel über das Verhältnis des Weiblichen und Männlichen. Simmels Text ist wegen seiner Subtilität bemerkenswert. Trotz aller Rückständigkeit seiner Zeit in Fragen der Gleichbereichtigung, in der z.B. fast gleichzeitig zu seinem hier abgedruckten Text Otto Weininger im Jahre 1903 sein bösartig-lächerliches Traktat "Geschlecht und Charakter" schrieb, verfasste Simmel einen Aufsatz, der nicht nur soziologische Fakten zu erhellen versucht, sondern vor allem auf die existenzielle Notwendigkeit einer Differenz abstellt, ohne die uns Menschen die Lust am Leben womöglich in erheblichem Umfange vergehen könnte. Er verortet diese Differenz, bei aller Wissenschaftlichkeit, letztlich an seltsam undurchdringlichen Orten, an unzugänglichen Stellen der kollektiven Psyche. Seine Beschreibung würde in mancher Hinsicht, von heutigen Diskutanten irgendwo auf einem universitären Podium vorgetragen, wahrscheinlich nur Häme ernten. Doch eine solche Verurteilung ist oberflächlich. Denn Simmel schreibt nicht aus mangelndem Respekt oder gar Verachtung für das Weibliche, sondern aus dem ehrlichen und sehr kritischen Versuch heraus, die Notwendigkeit der Geschlechterdifferenz, wie immer man sie auffassen mag, in eine für alle Beteiligten positive Form zu bringen.
Was Simmel "weiblich" bzw. "männlich" nennt, sollte man ganz losgelöst von der biologischen Einteilung der Menschen in Männer und Frauen betrachten. Es sind im Grunde umfassende, metaphysisch-existenzielle Rollenangebote, die lediglich ihre historische Wurzel im biologischen Geschlecht haben. In der sozialen Wirklichkeit sind sie von dieser Herkunft schon lange weitgehend frei geworden.
Es folgt der ungekürzte Text seines Aufsatzes aus dem Jahre 1911.
(Wolfgang Sohst)
Weibliche Kultur
Von Georg Simmel.
(Erstdruck in: Philosophische Kultur. Gesamelte Essays)
Man kann Kultur als die Vervollkommnung von Individuen ansehen, die vermöge des in der geschichtlichen Gattungsarbeit objektivierten Geistes gewonnen wird. Dadurch, dass die Einheit und Ganzheit des subjektiven Wesens sich durch die Aneignung jener objektiven Werte vollendet: der Sitte und der Erkenntnis, der Kunst und der Religion, der sozialen Gestaltungen und der Ausdrucksformen des Inneren - erscheint es als kultiviert. So ist Kultur eine einzigartige Synthese des subjektiven und des objektiven Geistes, deren letzter Sinn freilich, nur in der Vervollkommnung der Individuen liegen kann. Allein da diesem Vervollkommnungsprozess die Inhalte des objektiven Geistes erst als selbständige, von dem Schaffenden wie von dem Aufnehmenden gelöste, gegenüberstehen müssen, um dann als seine Mittel oder Stationen in ihn einbezogen zu werden, so mag man diese Inhalte: all das Ausgesprochene und Geformte, das ideell Bestehende und real Wirksame, dessen Komplex den Kulturbesitz einer Zeit ausmacht, als deren "objektive Kultur" bezeichnen. Von ihrer Feststellung unterscheiden wir das Problem: in welchem Maße, nach Ausdehnung und Intensität, die Individuen an jenen Inhalten teilhaben - als das Problem der "subjektiven Kultur". Vom Standpunkt der Wirklichkeit wie von dem des Wertes aus sind beide Begriffe gegeneinander sehr selbständig. Von einer hochentwickelten objektiven Kultur ist vielleicht die große Masse der in Frage kommenden Persönlichkeiten ausgeschlossen, während umgekehrt an einer relativ primitiven Kultur eben diese Masse so teilhaben kann, dass die subjektive Kultur eine relativ außerordentliche Höhe gewinnt.Und entsprechend variiert das Werturteil: der rein individualistisch - und vor allem der rein sozial Gesonnene wird alle Bedeutung der Kultur daran knüpfen, wie viele Menschen und in welchem Umfang sie an ihr teilhaben, wie viel Ausbildung und Glück, wie viel Schönheit und Sittlichkeit das im Individuum realisierte Leben aus ihr zieht. Andre aber, denen nicht nur der Nutzen der Dinge, sondern die Dinge selbst, nicht nur der unruhige Strom des Tuns und Genießens und Leidens, sondern der zeitlose Sinn geistgeprägter Formen am Herzen liegt, werden gerade nur nach der Ausbildung der objektiven Kultur fragen, und sich darauf berufen, dass der sachliche Wert eines Kunstwerkes, einer Erkenntnis, einer religiösen Idee, ja sogar der eines Rechtssatzes oder einer sittlichen Norm ganz unberührt davon ist, wie oft oder wie selten die zufälligen Wege der Lebenswirklichkeit all dieses in sich aufnehmen.
An dem Scheideweg dieser beiden Linien trennen sich auch die beiden Wertfragen, die die moderne Frauenbewegung aufwirft. Ihre Entstehung schien sie ganz in die Richtung der subjektiven Kultur zu bannen. Indem die Frauen zu den Lebens- und Leistungsformen der Männer übergehen wollten, handelte es sich für sie um den persönlichen Anteil an schon bestehenden, ihnen nur bisher versagten Kulturgütern - mochten diese ihnen nun neues Glück, neue Pflichten oder neue Persönlichkeitsbildung gewähren sollen; immer nur für einzelne Menschen, und mochten es noch so viele Millionen der Gegenwart wie der Zukunft sein, wird hier gerungen, nicht um etwas, das an sich über alles Einzelne und Persönliche hinausginge. Ein Wievielmal der Werte steht in Frage, nicht das Schaffen von objektiv neuen. Auf dieser Richtung ruhen vielleicht alle eudämonistischen, ethischen, sozialen Akzente der Frauenbewegung. Aber doch verschwindet vor ihr nicht die andre, viel abstraktere, von viel weniger dringender Not erzeugte: ob sich aus dieser Bewegung qualitativ neue Gebilde, eine Vermehrung des sachlichen Kulturgehalts erheben werde? Nicht nur Multiplikationen des Bestehenden, nicht nur ein Nachschaffen, sondern ein Schaffen? Mag die Frauenbewegung, gemäß der Meinung ihrer Anhänger, die subjektive Kultur unabsehbar steigern, oder mag sie diese, wie ihre Gegner prophezeien, mit Herabsetzung bedrohen: von dem einen wie von dem anderen Fall wäre der Gewinn an Inhalten objektiver Kultur durch die Frauenbewegung unabhängig, nach dessen Chancen hier gefragt werden soll; oder, genauer, nach der Basis dieser Chancen, den prinzipiellen Verhältnissen des weiblichen Wesens zu der objektiven Kultur.
Hier gilt es nun zunächst die Tatsache festzustellen, dass die Kultur der Menschheit auch ihren reinen Sachgehalten nach sozusagen nichts Geschlechtsloses ist und durch ihre Objektivität keineswegs in ein Jenseits von Mann und Weib gestellt wird. Vielmehr, unsre objektive Kultur ist, mit Ausnahme ganz weniger Gebiete, durchaus männlich. Männer haben die Kunst und die Industrie, die Wissenschaft und den Handel, den Staat und die Religion geschaffen. Dass man an eine, nicht nach Mann und Weib fragende, rein "menschliche" Kultur glaubt, entstammt demselben Grunde, aus dem eben sie nicht besteht: der sozusagen naiven Identifizierung von "Mensch" und "Mann", die auch in vielen Sprachen für beide Begriffe das gleiche Wort setzen, lässt. Ich lasse für jetzt dahingestellt, ob dieser maskuline Charakter der Sachelemente unserer Kultur aus dem inneren Wesen der Geschlechter hervorgegangen ist oder nur einem, mit der Kulturfrage eigentlich nicht verbundenen Kraft-Übergewicht der Männer. Jedenfalls ist er die Veranlassung, weshalb unzulängliche Leistungen der verschiedensten Gebiete als "feminin" deklassiert und hervorragende weibliche Leistungen als "ganz männlich" gerühmt werden. Darum wendet sich die Art, nicht nur das Maß, unserer Kulturarbeit an spezifisch männliche Energien, männliche Gefühle, männliche Intellektualität - was für die ganze Breite der Kultur, namentlich in jenen Schichten wichtig wird, die man als die der Halb-Produktivität bezeichnen kann; wo nicht ein Neues wie an einem ersten Tage aus dem geistigen Schöpfungsgrunde heraufgeholt wird, aber auch keine mechanische Wiederholung genau vorgezeichneter Muster geschieht, sondern ein gewisses Mittleres. Die kulturgeschichtliche Betrachtung hat diese, für den feineren Bau der Gesellschaft unendlich wichtige Besonderheit noch nicht hinreichend untersucht. In weiten Bezirken von Techniken und Handel, von Wissenschaft und Kriegswesen, von Schriftstellertum und Kunst werden unzähliche Leistungen von sozusagen sekundärer Originalität gefordert, Leistungen, die innerhalb gegebener Formen und Voraussetzungen nun doch wieder Initiative, Eigenart, Schaffenskraft enthalten. Und gerade hier ist die Beanspruchung spezifisch männlicher Kräfte evident, da jene Formen und Voraussetzungen aus männlichem Geiste stammen und dessen Charakter auch jenen gleichsam epigonalen Leistungen vererben.
Ich greife nur ein Beispiel dieses maskulinen Wesens scheinbar völlig neutraler Kulturinhalte heraus. Man betont häufig die "Rechtsfremdheit" der Frauen, ihre Opposition gegen juristische Normen und Urteile. Allein dies braucht keineswegs eine Fremdheit gegen das Recht überhaupt zu bedeuten, sondern nur gegen das männliche Recht, das wir allein haben und das uns deshalb als das Recht schlechthin erscheint - wie uns die historisch bestimmte, durch Zeit und Ort individualisierte Moral, die wir haben, den Begriff der Moral überhaupt zu erfüllen scheint. Das vielfach vom männlichen abweichende "Gerechtigkeitsgefühl" der Frauen würde auch ein anderes Recht schaffen. Denn alle logische Problematik jenes Gefühls darf nicht verbergen, dass Gesetzgebung wie Rechtsprechung letzten Endes auf einer nur so zu bezeichnenden Basis ruhen. Bestände ein objektiv festgestellter Endzweck alles Rechtes, so wäre freilich auf ihn hin jede einzelne Rechtsbestimmung prinzipiell auf rein rationalem Wege konstruierbar; allein auch er wäre seinerseits nur durch eine überlogische Tat zu setzen, die nichts als eine andre Form des "Gerechtigkeitsgefühles", seine Kristallisierung zu einem festen, logischen Sondergebilde wäre. Da es aber zu diesem nicht gekommen ist, so bleibt das Gerechtigkeitsgefühl in seinem gleichsam flüssigen Zustand, in dem es sich jeder einzelnen Bestimmung und Entscheidung wirksam und lenkend beimischt, wie in fast allen Zellen auch des völlig gegliederten Tierkörpers sich noch irgendein Quantum des undifferenzierten Protoplasmas findet. Jedes in sich bestimmte, durchgehende Rechtsgefühl würde also ein Recht ergeben, und ein auf diese Weise aus dem spezifisch weiblichen Rechtsgefühl entsprungenes würde nur deshalb nicht als sachlich gültiges "Recht" anerkannt werden können, weil das Sachliche a priori mit dem Männlichen identifiziert wird. Dass aber die Sachgehalte unserer Kultur statt ihres anscheinend neutralen Charakters in Wirklichkeit einen männlichen tragen, gründet sich in einer vielgliedrigen Verwebung historischer und psychologischer Motive. Die Kultur, letzten Endes ein Zustand von Subjekten, nimmt nicht nur ihren Weg durch die Objektivationen des Geistes, sondern, mit dem Vorrücken jeder ihrer großen Perioden, verbreitert sich dieser Umkreis des Sachlichen immer mehr, die Individuen verweilen mit ihren Interessen, ihrer Entwicklung, ihrer Produktivität immer länger auf diesem Durchgangsgebiet, die objektive Kultur erscheint schließlich als die Kultur überhaupt und ihre Ausmündung in Subjekten nicht mehr als ihr Ziel und Sinn, sondern als deren eigentlich irrelevante Privatangelegenheit. Die Entwicklungsbeschleunigung ergreift mehr die Dinge als die Menschen und die "Trennung des Arbeiters von seinen Arbeitsmitteln" erscheint nur als ein sehr spezieller ökonomischer Fall der allgemeinen Tendenz, den Aktions- und Wertakzent der Kultur vom Menschen weg auf die Vervollkommnung und selbstgenügsame Entwicklung des Objektiven zu rücken. Diese, keines Beweises bedürftige Versachlichung unserer Kultur steht nun in engster Wechselwirkung mit ihrem anderen hervorstechendsten Zuge: mit ihrer Spezialisierung. Je mehr der Mensch statt eines Ganzen nur ein unselbständiges, für sich bedeutungsloses Stück eines solchen herstellt, desto weniger kann er das einheitliche Ganze seiner Persönlichkeit in sein Werk übertragen oder es in diesem erblicken: zwischen der Geschlossenheit der Leistung und der des Leistenden besteht ein durchgängiger Zusammenhang, wie er sich am bedeutsamsten am Kunstwerk zeigt, dessen eigne, selbstgenugsame Einheit einen einheitlichen Schöpfer fordert und sich unbedingt gegen jede Zusammensetzung aus differentiellen Spezialleistungen sträubt.
Wo diese letzteren vorliegen, ist das Subjekt als solches aus ihnen gelöst, das Arbeitsergebnis wird einem unpersönlichen Zusammenhang eingeordnet, dessen objektiven Forderungen es sich zu fügen hat und das jedem der Beitragenden als ein von ihm nicht umfasstes, ihn selbst nicht widerspiegelndes Ganzes gegenübersteht. Hätte in unserer Kultur nicht das Sachelement eine so entschiedene Prärogative vor dem Personalelement, so wäre die moderne Arbeitsteilung gar nicht durchzuführen, und umgekehrt, bestände diese Arbeitsteilung nicht, so könnte es nicht zu jenem objektivischen Charakter unserer Kulturinhalte kommen. Arbeitsteilung aber ist, wie die ganze Geschichte der Arbeit zeigt, offenbar dem männlichen Wesen unvergleichlich viel adäquater als dem weiblichen. Noch heute, wo gerade sie dem Haushalt eine große Anzahl differenter Aufgaben, die früher in seiner Einheit erfüllt wurden, entzogen hat, ist die Tätigkeit der Hausfrau eine mannigfaltigere, weniger spezialistisch festgelegte, als irgend ein männlicher Beruf. Es scheint, als könne der Mann seine Kraft eher in eine einseitig festgelegte Richtung fließen lassen, ohne seine Persönlichkeit dadurch zu gefährden, und sogar gerade, weil er diese differenzierte Tätigkeit unter rein objektivem Aspekt empfindet, als ein von seinem subjektiven Leben Gelöstes, das sich von dessen gleichsam privater Existenz reinlich differenziert, und zwar eigentümlicher und begrifflich schlecht ausdrückbarerweise auch dann, wenn er dieser objektiven und spezialistischen Aufgabe mit ganzer Intensität hingegeben ist. Diese männliche Fähigkeit, sich durch eine arbeitsteilige, keine seelische Einheit in sich tragende Leistung gerade deshalb sein persönliches Sein nicht zerreißen zu lassen, weil er die Leistung in die Distanz der Objektivität stellt - gerade diese scheint der weiblichen Natur zu mangeln; nicht im Sinn einer Lücke, sondern so, dass dieses hier als Manko Ausgedrückte durchaus dem Positiven dieser Natur entspringt. Denn wenn deren seelische Besonderheit überhaupt mit einem Symbol auszusprechen ist, so ist es dieses: dass ihre Peripherie enger mit ihrem Zentrum verbunden ist, die Teile mehr mit dem Ganzen solidarisch sind, als in der männlichen Natur. Hier findet die Einzelbewährung nicht die Sonderentwicklung und Sonderung von dem Ich mit seinen Gefühls- und Gemütszentren, die die Leistung in das Objektive rückt und dadurch ihre entseelte Spezialistik mit einer vollen, beseelt persönlichen Existenz verträglich macht (ohne dass es freilich an männlichen Erscheinungen fehlte, in denen die letztere zugunsten der ersteren verkümmert).
Hier tritt die große und differenzierte Bedeutung des Entwicklungsbegriffs für die ganze männlich-weibliche Kulturfrage hervor. Das unruhig aktive, zur Bewährung in und an einem Außersich drängende Wesen des Mannes gibt dem Entwicklungsprinzip für ihn eine von vornherein entscheidende Macht. So wenig dies Prinzip sich etwa nur als Entfaltung ins Extensive verwirklicht, so wird es doch für ein in sich weniger differenziertes, in seiner Geschlossenheit befriedigteres Wesen von geringerer Bedeutung sein als für das männliche. Tatsächlich scheint nach allgemeiner Meinung den Frauen eine gewisse "Unentwickeitheit" anzuhaften, auf die hin Schopenhauer sie "zeitlebens große Kinder" nannte. Während dies für die Antifeministen aller Schattierungen eine Unabänderlichkeit ist, die das weibliche Geschlecht von dem höheren und ganzen Menschentum ausschlösse, stützt sich die Frauenbewegung darauf, dass hier wirklich eine bloße Unentwickeltheit vorläge, eine Latenz von Kräften und Möglichkeiten, die sich, wenn ihnen nur Spielraum und Anregung gegeben würde, in volle Aktualität umsetzen könnten und also auch sollten. In die Tiefe des Problems scheinen mir beide Parteien damit nicht einzudringen; trotz ihrer Entgegengesetztheit sind beide Schlussweisen falsch, weil sie auf einem ganz unvollkommenen Begriff des Entwicklungswertes ruhen. Sie fassen ihn beide im Sinne organischer Naturhaftigkeit. Aber sie können ihm ihre Konsequenzen nur dadurch entlocken, dass sie in ihn hineintragen, was er gerade im reinen Natursinne nicht besitzt: den höheren Rang, das wertmäßig Fortgeschrittene der späteren und differenzierteren Stufe gegenüber der früheren und die Setzung eines mehr oder weniger genau fixierten Stadiums als Entwicklungshöhe, dessen, Erreichtheit oder Entferntheit den andern Stadien ihren Wert bestimmt. Populärerweise freilich erscheint die Frucht als das wertmäßig Höhere, irgendwie Abschließende gegenüber der Blüte, gewissermaßen als ihr Endzweck, so sehr jede Besinnung auf den objektiven Naturlauf sie natürlich als ein Durchgangsstadium der Entwicklung zeigt; nur durch die sehr menschliche Betonung daraufhin, dass man sie essen kann, die Blüte aber nicht, vor dieser einen teleologischen Vorrang behauptend. Nehme man also wirklich an, die Entwicklung der Menschheit sei mit ihrem weiblichen Zweige auf einer früheren Stufe stehen geblieben als mit ihrem männlichen, so ist es eine völlig willkürliche Behauptung: sie erreiche ihre Vollendung erst mit dem Vorschreiten zum männlichen Stadium.
Vielmehr, ein jedes Entwicklungsstadium hat in sich, als dieses bestimmte, seine Norm, an der sich der Grad seiner Vollendung misst, und rangiert diese Norm nicht ihrerseits wieder unter ein anderes Stadium, bloß weil dieses ein späteres und irgendwie verändertes ist. Nun steht es natürlich jedem frei, das eine Stadium höher zu schätzen als das andere - obgleich ein Wertvergleich zwischen Wesensarten, deren jede nach ihrem, ihr allein eigenen Ideal beurteilt sein will und die keinen irgendwie sicheren Generalnenner besitzen, immer etwas Missliches hat. Immerhin, macht man von jener Freiheit des Wertens Gebrauch, so geschehe es mit dem Bewusstsein, seiner vollen Subjektivität und der Unmöglichkeit, es aus einer angeblichen Logik des Entwicklungsbegriffes zu rechtfertigen, dessen Objektivität überhaupt keine Wertunterschiede seiner Stadien kennt.
Diese irrige Teleologie wird durch gewisse Ausdrücke begünstigt, deren Kritik die Problemlage noch in ihren tieferen Schichten durchleuchtet. Man hat nicht nur sehr früh, aus einem metaphysischen Entwicklungsbegriff heraus, die Frau als die "Möglichkeit" bezeichnet, zu der erst der Mann die "Wirklichkeit" sei; sondern, in der psychologischen Linie der Frau selbst verbleibend, scheint ihr Wesen soviel unverwirklichte Möglichkeiten, uneingelöste Versprechungen, gebundene Spannkräfte zu enthalten, dass mit deren Entwicklung zur Aktivität erst dies Wesen zu seiner Bestimmung käme, seine Werte und Leistungen erst ganz offenbaren würde. War der obige Gedankengang mehr Sache der Antifeministen, so weist dieser auf die Emanzipation hin, ohne indes einen jenem ersteren verwandten Fehlschluss zu vermeiden. Denn keinerlei Logik oder Empirie verbietet es, dass vielleicht das Optimum des weiblichen Wesens gerade an den Latenzzustand gewisser Kräfte geknüpft ist. Auch in diesem sind sie ja nicht gleich Null, und es ist ein naiver Dogmatismus, dass alle Kräfte, alle Potentialitäten erst dann ihren wertvollsten Beitrag zu der subjektiven und objektiven Existenz gäben, wenn sie sich in dem Stadium, das wir volle Entwicklung nennen, befinden. Die "Möglichkeiten" eines Wesens sind doch keine ungreifbar über ihm schwebenden Prophezeiungen einer einmal eintretenden Aktualität, sondern schon jetzt etwas durchaus Positives, eine charakteristische Gegenwart, die keineswegs nur in der Anwartschaft auf eine andere, zukünftige Formung besteht. Und nun könnte es durchaus sein, dass der Zustand eines Wesens, der von einem vorwegnehmenden Standpunkt aus Potentialität heißt, tatsächlich aber doch schon selbst ein Wirkliches ist, für dieses Wesen der Höhepunkt und der denkbar vollkommenste Ausdruck seines Seins überhaupt ist. Unplausibel erscheint dies nur von der schlechten Gewohnheit her, die Fähigkeiten eines Menschen, intellektuelle oder nur dynamische, schöpferische oder gefühlshafte oder welche immer, wie isolierte Selbständigkeiten anzusehen, zwischen ihrem Anfang und ihrem Ende für sich verlaufende, für sich zu wertende Entwicklungsreihen. So betrachtet mag freilich die einzelne erst mit ihrer maximalen Entwickeltheit ein befriedigendes Bild ergeben. Erfasst man sie aber als Glieder oder als Äußerungen eines individuellen Gesamtlebens, das sich in all unsern einzelnen Fähigkeiten gleichsam kanalisiert, so leuchtet sofort die Möglichkeit, sogar die Wahrscheinlichkeit auf, dass die werthöchste Entwicklung der ganzen und einheitlichen Persönlichkeit sich über sehr verschiedene Längen jener Einzelreihen erheben wird, dass die Lösung der Potentialitäten jetzt nicht mehr für sich gelten, sondern, der darüberstebenden Ganzheit des Menschen dienend, in sehr ungleichen Maßen erfordert sein wird, um die Vollendung dieser Ganzheit organisch zu tragen.
Und wie verhält sich denn jede menschliche, auch die männliche Existenz, zu diesem Problem der Möglichkeiten und ihrer Aktualisierungen? In jedem von uns ruhen unbegrenzte Möglichkeiten zu Betätigungen und unzählige Male belehren uns erst von außen herantretende Anreize oder Nöte über das, was wir eigentlich können. Dies sind natürlich durchaus reale, psychisch positive Elemente, die als Möglichkeiten nur insoweit gelten, als sie antizipatorisch auf das hin, was sich aus ihnen eventuell entfalten wird, angesehen werden; genau genommen könnte man deshalb jegliche Aktualität unseres Lebens als Möglichkeit ansprechen, da eine jede sich zu weiteren tatsächlichen Gestaltungen entfaltet oder entfalten kann. Allein im engeren Wortsinn gliedern wir nur solche inneren Reihen in Möglichkeit und Wirklichkeit, deren letztes Glied in besonderem Maße auf jene vorbereitenden Zustände, zurückweist, die entweder nur nach Entfaltung ihrer Folgen konstruiert werden können oder als dumpfe Gefühle und mehr oder weniger unsichere Versprechungen in uns leben. So verstanden, ist der Umkreis unserer Existenz in seinem extensiven Hauptteil von Möglichkeiten besetzt; was wir als Wirklichkeit voll entwickelten Bewusstseins sind, ist immer nur der Kern jenes Kreises und ein auf diesen Kern, diese Wirklichkeit, beschränktes Leben wäre in ganz unausdenkbarer Weise verändert und verarmt. Denn diese Potentialitäten sind wir doch gleichfalls, sie sind auch nichts bloß Gebundenes oder Scheintotes, sondern etwas fortwährend Wirksames - nur nicht gerade immer in der durch unsere Reflexion ihnen insinuierten Richtung von Möglichkeit zu einer ganz bestimmten Wirklichkeit, vielleicht überhaupt nicht zu einer ihnen zuzuordnenden weiteren Wirklichkeit. So mag manches vom männlichen Standpunkt aus Potentialität sein, Unentwickeltheit von Endwerten, deren Verwirklichung erst ihrer Möglichkeit Sinn gibt - während eben dies in der weiblichen Psyche ein sinnvoll Wirkliches ist, ein in dem Zusammenhange gerade solchen Gesamtlebens Vollendetes oder dessen Vollendung Tragendes.
Wo diese differenzielle Struktur vorliegt, wird sie zugleich als relativ einheitliche, in sich eng geschlossene erscheinen; so dass ,man beides vielleicht als - selbstverständlich symbolische - Ausdrücke für eine und dieselbe seelische Geformtheit ansehen kann. Wo die einzelnen Reihen ihre Bedeutung für Wesensart .und Bewusstsein, Willen und Wertung erst an dem Punkt, den wir ihre volle Entwickeltheit nennen, gewinnen, wird sich das Bild einer zentrifugalen, an manchen Stellen weit ausladenden, die einzelne Entwicklungslinie stark betonenden Existenz einstellen; das Entwicklungsprinzip und das der Differenzierung gehen zusammen. Umgekehrt, wo sich Wert und innere Wirksamkeit der Reihe dann verknüpfen, wenn diese in dem Stadium der Potentialität und der Unentwickeltheit stehen zwei völlig schiefe Ausdrücke, weil sie ein gegenwärtig Bedeutsames durch Rückdatierung aus einer Zukunft, ein positiv Wirksames durch eine bloße Negation charakterisieren, da wird der Umfang des Wesens enger an seinem Zentrum, an dem Quellpunkt des persönlichen Lebens überhaupt verbleiben. Je mehr Potentialitäten, immer in dem Sinn wesensbestimmender Wirklichkeit, diesen Umfang besetzen, als desto einheitlicher, desto weniger in weit ausgreifende Singularitäten gespalten, werden wir ihn empfinden.
Ich führe nur zwei spezielle und voneinander sehr abgelegene Züge dieser Einheitlichkeit des weiblichen Wesens an, die wir vielleicht nur deshalb mit so negativen Begriffen, wie Undifferenziertheit, Mangel an Objektivität usw. ausdrücken, weil die Sprache und Begriffsbildung in der Hauptsache auf männliches Wesen eingestellt ist. Erfahrene Praktiker des Gefängniswesens haben gelegentlich der Einführung weiblicher Gefängnisaufseherinnen hervorgehoben, man dürfe dazu nur durchaus gebildete Frauen nehmen. Der männliche Sträfling nämlich füge sich in der Regel willig seinem Wärter, auch wenn dieser an Bildung tief unter ihm stände, während weibliche Gefangene einer ihnen an Bildung untergeordneten Wärterin fast immer Schwierigkeiten machten. Das heißt also: der Mann sondert seine Gesamtpersönlichkeit von dem jeweiligen einzelnen Verhältnis ab und erlebt dieses in der reinen, kein außerhalb gelegenes Moment hineinziehenden Sachlichkeit. Die Frau umgekehrt kann dieses momentane Verhältnis sich nicht als ein unpersönliches abspielen lassen, sondern erlebt es in Ungetrenntheit von ihrem einheitlichen Gesamtsein und zieht deshalb die Vergleichungen und Konsequenzen, die die Relation ihrer ganzen Persönlichkeit zu der ganzen Persönlichkeit ihrer Wärterin mit sich bringt. Aber auf dieser Verfassung dürfte nun auch, zweitens, die größere Empfindlichkeit, die Leichtverletzlichkeit der Frauen beruhen - viel eher als auf einer zarteren oder schwächeren Struktur der einzelnen seelischen Elemente. Die mangelnde Differenziertheit, die geschlossene Einheitlichkeit des seelischen Wesens lässt sozusagen keinen Angriff lokalisiert bleiben, jeder setzt sich von seinem Ansatzpunkt aus gleich auf die ganze Persönlichkeit fort, wobei er dann leicht auf alle möglichen, überhaupt leicht verwundbaren oder wunden Punkte trifft. Man sagt den Frauen nach; dass sie leichter beleidigt wären als Männer es unter den gleichen Umständen sind; aber dies bedeutet eben, dass sie einen singulären, auf irgendeinen Einzelpunkt gerichteten Angriff häufig als einen ihre ganze Person treffenden empfinden - weil sie die einheitlicheren Naturen sind, in denen der Teil sich nicht aus dem Ganzen zu selbständigem Leben herausgeschieden hat.
Man kann diese Grundstruktur des weiblichen Wesens, die in dessen Fremdheit gegen die spezialistisch-objektive Kultur nur ihren historischen Ausdruck gewinnt, in einen psychologischen Zug zusammenfassen: in die Treue. Denn Treue bedeutet doch, dass das Ganze und Einheitliche der Seele sich mit einem einzelnen ihrer Inhalte unablöslich verbindet. Ãœber die Beobachtungstatsache, dass die Frauen, mit den Männern verglichen, die treueren Wesen sind, besteht wohl Einstimmigkeit - anhebend von ihrer Anhänglichkeit an alte Besitzstücke, eigene wie die geliebter Menschen, an "Erinnerungen" greifbarer wie innerlichster Art. Die ungespaltene Einheit ihrer Natur hält zusammen, was sich je in ihr getroffen hat, lässt an jedem Ding die einst damit verbundenen, in das gleiche Zentrum einbezogenen Werte und Gefühle schwerer trennbar haften. Der Mann ist pietätloser, weil er kraft seiner Differenziertheit die Dinge mehr in ihrer herausgelösten Sachlichkeit ansieht. Das Vermögen, sich in eine Mehrheit gesonderter Wesensrichtungen zu zerlegen, die Peripherie von dem Zentrum unabhängig zu machen, Interessen und Betätigungen von ihrer einheitlichen Verknüpftheit fort zu verselbständigen - dies disponiert zur Treulosigkeit. Denn nun kann die Entwicklung bald das eine, bald das andere Interesse ergreifen, den Menschen in wechselnde Formen bringen, jeder Gegenwart die volle Freiheit geben, sich aus sich selbst und rein sachlich zu entscheiden - damit aber ist ihr eine Fülle und Unpräjudiziertheit von Betätigungsrichtungen gegeben, wie sie der Treue versagt sind. Differenziertheit und Sachlichkeit sind, nach der Logik der Psychologie, die Gegensätze der Treue. Denn sie, die das Ganze der Persönlichkeit vorbehaltlos mit einem einzelnen Interesse, Gefühl, Erlebnis verschmilzt und bloß weil diese einmal da waren, mit ihnen verschmolzen bleibt, hindert jenes Zurücktreten des Ich von seinen einzelnen Erfüllungen. Die Scheidung der Sache von der Person hat etwas Treuloses, und damit widerstrebt sie der treueren Wesensart der Frauen und trennt damit diese freilich innerlich von einer produktiven Kultur, die auf Grund ihrer Spezialisierung versachlicht und auf Grund ihrer Sachlichkeit spezialisiert ist. Die laxere sexuelle Treue der Männer - eine nur von dogmatischer Misogynie, banalem Nachsprechertum oder bloßer Frivolität geleugnete Tatsache - hängt eben damit zusammen, dass ihnen die Frau vielfach als "Sache" gilt; mag auch der begriffliche Ausdruck krass und paradox erscheinen, hierin zentriert tatsächlich der ganze Unterschied zwischen dem Verhältnis des Mannes zur Frau und dem der Frau zum Manne; in den Fällen, wo jene Kategorie nicht in Wirksamkeit tritt, vermindert sich der Unterschied der beiden Relationsrichtungen in überraschender Weise.
Insoweit also die Frauen an der objektiven Kulturleistung versagen, braucht dies kein dynamisches Manko gegenüber einer allgemeinen menschlichen Forderung zu bedeuten, sondern nur die Inadäquatheit zwischen einer Wesensart, in der alle Lebensinhalte nur aus der Kraft eines unteilbaren subjektiven Zentrums heraus und unmittelbar mit diesem verschmolzen existieren - und der Bewährung in einer Sachenwelt, wie sie durch die differentielle Natur des Mannes aufgebaut ist. Gewiss sind die Männer sachlicher als die Frauen. Aber dies ganz selbstverständlich als das Vollkommnere anzusehen und das Leben in der Ungeschiedenheit des Einzelnen vom Ganzen als das Schwächere und "Unentwickeltere" - das ist nur durch einen circulus vitiosus möglich, indem man von vornherein nicht eine neutrale, sondern die männliche Wertidee über den Wert von Männlichem und Weiblichem entscheiden lässt. Freilich kann hier konsequenterweise nur ein ganz radikaler Dualismus helfen: nur wenn man der weiblichen Existenz als solcher eine prinzipiell andere Basis, eine prinzipiell anders gerichtete Lebensströmung als der männlichen zuerkennt, zwei Lebenstotalitäten, jede nach einer völlig autonomen Formel erbaut - kann jene naive Verwechslung der männlichen Werte mit den Werten überhaupt weichen. Sie ist von historischen Machtverhältnissen getragen, die sich logisch in dem verhängnisvollen Doppelsinn des Begriffes vorn "Sachlichen" ausdrücken: das Sachliche erscheint als die rein neutrale Idee, in gleichmäßiger Höhe über den männlich-weiblichen Einseitigkeiten; aber nun ist das "Sachliche" doch auch die Sonderform der Leistung, die der spezifisch männlichen Wesensart entspricht. Das Eine eine Idee von übergeschichtlicher, überpsychologischer Abstraktheit, das Andere ein historisches, der differentiellen Männlichkeit entspringendes Gebilde, - so dass die von dem letzteren ausgehenden Kriterien, durch das gleiche Wort getragen, sich mit der ganzen Idealität des ersteren decken und dass die Wesen, deren Natur sie von der Bewährung an der spezifisch männlichen Sachlichkeit ausschließt, von dem Standpunkt der übergeschichtlichen, der schlechthin menschlichen Sachlichkeit aus (den unsere Kultur überhaupt nicht oder nur sehr sporadisch realisiert) deklassiert erscheinen. Da sich der hier wirksame Gegensatz zwischen dem ganz allgemeinen Wesen der Frauen und der ganz allgemeinen Form unserer Kultur spannt, so wird innerhalb dieser Kultur die weibliche Leistung um so gehemmter sein, je unmittelbarer gerade dieses Allgemeinste und Formale ihr als Forderung gegenübersteht: dies ist am entschiedensten bei originellem Schöpfertum der Fall. Wo schon geformte Inhalte aufgenommen und kombinatorisch weiter verarbeitet werden, ergibt sich leichter eine Anpassung an den Gesamtcharakter des Kulturbezirks; wo aber eine spontane Schöpfung aus dem Eigensten des Subjekts hervordrängt, wird eine ganz und gar aktive, totale Formung, vom Elementarsten her, verlangt. Dies Tun hat hier, im extremen Fall, nicht von seinem Material her schon etwas von der allgemeinen Form in sich, sondern die Distanz zu dieser hin muss von der schaffenden Seele Schritt für Schritt und ohne Nachlass überwunden werden. Damit ergibt sich die Reihenfolge, in der weibliche Betätigungen innerhalb der objektiven, männlich bestimmten Kultur gelingen. Unter den Künsten sind die reproduktiven ihre eigentliche Domäne: Schauspielkunst (worüber von einem anderen Aspekt her noch nachher zu reden ist) und ausübende Musik bis zu dem höchst bezeichnenden Typus der Stickerin, deren unvergleichliche Geschicklichkeit und Fleiß eben ein "gegebenes" Muster wiederholt; in den Wissenschaften fällt ihre Sammler- und "Kärrner"-fähigkeit auf und dieses Arbeiten mit Aufgenommenem steigert sich zu ihren großen Leistungen als Lehrerinnen, die, bei aller funktionellen Selbständigkeit, ein Gegebenes überliefern usw. Kurz, im Rahmen der bisher vorliegenden Kultur bewähren sie sich in dem Maße mehr, in dem der Gegenstand ihrer Arbeit schon den Geist dieser Kultur, d. h. den männlichen, in sich aufgenommen hat und versagen in dem Maße, in dem Urproduktion verlangt wird, d. h. in dem sie ihre von vornherein anders disponierte originale Energie erst in die Formen gießen müssten, die die objektive, also die männliche Kultur verlangt.
Nun aber ist diese Kultur sozusagen in doppelter Art männlich. Nicht nur weil sie in objektiver und arbeitsteiliger Form verläuft, sondern auch weil die Erfüllungen dieser Form, die einzelnen Leistungen in einer Weise vorgezeichnet, die Leistungselemente in einer Weise zu besonderen Berufen zusammengefasst sind, wie es eben der männlichen Fähigkeit, ihrer besonderen Rhythmik und Intention angemessen ist. Von jener grundsätzlichen Formschwierigkeit also abgesehen wäre es noch einmal eine Inadäquatheit, noch einmal ein Verzicht auf Schaffung neuer Intensitäten und Qualitäten der Kultur, wollten die Frauen in demselben Sinne Naturforscher oder Techniker, Ärzte oder Künstler werden, wie die Männer es sind. Gewiss wird dies oft genug geschehen und das Quantum subjektiver Kultur reichlich vermehren. Allein wenn nun schon objektive Kultur sein soll, und die Frauen sich ihrer Form fügen, so sind neue kulturelle Nuancen und Grenzerweiterungen nur dann von den Frauen zu erwarten, wenn sie etwas leisten, was die Männer nicht können. Das ist der Kern der ganzen Frage, der Drehpunkt des Verhältnisses zwischen der Frauenbewegung und der objektiven Kultur. Auf gewissen Gebieten wird eine Zerlegung der Tätigkeit, die man jetzt als eine sachliche Einheit ansieht (während in Wirklichkeit diese Synthese von Teilfunktionen der männlichen Arbeitsweise adäquat war) spezifisch weibliche Tätigkeitssphären schaffen. In einem engen und materiellen Bezirk haben englische Arbeiter dies Prinzip durchgeführt. Frauen haben vielfach ihre niedrigere und billigere Lebenshaltung benutzt, um die Männer zu unterbieten, und damit eine Verschlechterung des Standardlohnes herbeigeführt, so dass im allgemeinen die Gewerkvereine die Verwendung der weiblichen Arbeitskraft in der Industrie aufs bitterste bekämpfen. Einige Gewerkvereine nun, z. B. Baumwollweber und Strumpfwirker, haben einen Ausweg gefunden durch Einführung einer Standardlohnliste für sämtliche auch die kleinsten Teilfunktionen der Fabrikarbeit. Diese werden ganz gleichmäßig bezahlt, mögen sie von Männern oder von Frauen ausgeführt werden. Wie von selbst nun hat sich durch diesen, zunächst nur zur Beseitigung der Konkurrenz zwischen Männern und Frauen erdachten Modus eine Arbeitsteilung herausgebildet, derart, dass die Frauen die ihren Körperkräften und ihrer Geschicklichkeit adäquaten Funktionen für sich gleichsam monopolisiert haben, den Männern die ihren Kräften zusagenden überlassend. Der beste Kenner der Verhältnisse englischer Industriearbeiter urteilt: "Soweit es sich um Handarbeit handelt, bilden die Frauen eine besondere Klasse von Arbeitern, die andere Fähigkeiten und andere Bedürfnisse als die Männer haben. Um beide Geschlechter in demselben Zustande von Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu halten, ist oft eine Differenzierung der Aufgabe nötig." Hier ist also sozusagen naiv das große Problem der weiblichen Kulturarbeit schon gelöst, die neue Linie ist durch den Aufgabenkomplex gelegt, die die für das spezifisch weibliche Können prädestinierten Punkte verbindet und zu besonderen Berufen zusammenschließt. Schon hier gilt, dass die Frauen etwas tun, was die Männer nicht können. Denn obgleich diese es bisher getan haben, so werden die Aufgaben, die den weiblichen Kräften zusagen, durch die spezifische Arbeit dieser sicher besser gelöst, werden.
Ich gehe auf diese Möglichkeit, die auch für die Erkenntnis nur innerhalb der Praxis sichtbar werden dürfte, nicht näher ein und wende mich zu der anderen: dass eine in höherem Maße originelle und spezifisch weibliche Leistung gleichsam in den Lücken, die die männliche lässt, erwachse. Auch für den Bezirk der Wissenschaft sind hier nur ganz sporadische Anmerkungen möglich, zunächst etwa für die Medizin. Nach dem - sicherlich sehr großen - praktischen und sozialen Wert des weiblichen Arztes, der eben dasselbe kann und tut wie der männliche, steht hier nicht die Frage, sondern ob von ihm eine solche qualitative Mehrung der medizinischen Kultur, wie sie durch männliche Mittel nicht erreichbar ist, zu erwarten ist. Und das scheint mir daraufhin zu bejahen, dass sowohl Diagnose wie Therapie zu einem nicht kleinen Teile von dem Nachfühlen des Zustandes des Patienten abhängt. Die objektiv-klinischen Untersuchungsmethoden kommen oft an ein frühes Ende, wenn sie nicht ergänzt werden durch ein entweder unmittelbar-instinktives, oder durch Äußerungen vermitteltes, subjektives Wissen um den Zustand und die Gefühle des Kranken. Ich halte dieses Mitwissen für ein ausnahmslos wirksames A priori der ärztlichen Kunst, das nur wegen seiner Selbstverständlichkeit nicht bewusst zu werden pflegt, weshalb denn freilich auch seine Abstufungen, mit ihren sehr nuancierten Bedingungen und Folgen noch keine Untersuchung gefunden haben. Zu diesen Bedingungen aber, die in irgendeinem Grade immer vorhanden sein müssen und dann mit ihrem Maße eben das Maß des ärztlichen Verständnisses entscheiden, gehört eine gewisse Konstitutionsanalogie zwischen dem Arzte und dem Kranken; die eigentümlich dunkle und vieldeutige, aber darum nicht weniger wirksame Tatsache der inneren Nachbildung des Zustandes des Patienten ist zweifellos davon getragen und in ihrem Maße bestimmt, dass der Arzt eben ein Wesen derselben Art ist. In diesem Sinne hat ein sehr erfahrener Nervenarzt einmal gesagt, dass man gewisse nervöse Zustände erst dann ärztlich ganz durchschauen könnte, wenn man selbst einmal ähnliche erlebt habe. Es drängt sich also die Konsequenz auf, dass Frauen gegenüber der weibliche Arzt nicht nur oft die genauere Diagnose und das feinere Vorgefühl für die richtige Behandlung des einzelnen Falles haben wird, sondern auch rein wissenschaftlich typische Zusammenhänge entdecken könne, die dem Mann unauffindbar sind, und so zu der objektiven Kultur spezifische Beiträge leisten würde; denn die Frau hat eben an der gleichen Konstitution ein Werkzeug der Erkenntnis, das dem Mann versagt ist. Und ich möchte glauben, dass die größere Ungeniertheit der Frauen gegenüber der Ärztin - neben der freilich, aus hier nicht anführungsbedürftigen Motiven, die Praxis vielleicht überwiegend das Umgekehrte zeigt - auch aus dem Gefühl stammt, in vielem von der Frau als solcher besser verstanden zu werden als vom Manne; weshalb jene Tatsache auch besonders für die Frauen der unteren Stände gilt, deren Ausdrucksmittel unvollkommen sind und die sich deshalb mehr auf das instinktmäßige Verstandenwerden verlassen müssen. Hier könnten also vielleicht auch in rein theoretischem Sinne die Frauen vermöge ihres Geschlechtes etwas leisten, was dem Manne versagt ist. Von derselben Voraussetzung aus, dass von einem verschiedenen Sein auch ein verschiedenes Erkennen getragen wird, könnte die weibliche Psyche der historischen Wissenschaft mit spezifischen Leistungen dienstbar werden. Die Erkenntniskritik hat die Falschheit und Oberflächlichkeit jenes Realismus herausgestellt, für den die wissenschaftliche Geschichte eine möglichst photographische Wiedergabe des Geschehens ist, "wie es wirklich war", ein Hineinschütten der unmittelbaren Realität in das wissenschaftliche Bewusstsein. Wir wissen jetzt vielmehr, dass aus dem "Geschehen", das überhaupt als solches nicht gewusst, sondern nur gelebt werden kann, "Geschichte" nur durch die Wirksamkeit von Funktionen wird, die durch die Struktur und die Intentionen des erkennenden Geistes bestimmt sind; aus der Besonderheit dieser Bestimmung folgt die Besonderheit des resultierenden Gebildes der Geschichte. Darum wird diese keineswegs etwas "Subjektives", dem Unterschied von Wahrheit und Irrtum Unzugängiges; nur dass Wahrheit nicht auf dem Spiegelcharakter des Geistes gegenüber den Ereignissen beruht, sondern auf einem gewissen funktionellen Verhältnis zu diesen, und darauf, dass die Vorstellungen, ihren eigenen Notwendigkeiten folgend, damit zugleich einer Forderung der Dinge gehorchen - die, was sie sonst auch sei, jedenfalls nicht die Forderung ist, von jenen photographiert zu werden. Ich gehe hier nur auf eines der Probleme ein, in denen diese unvermeidliche Abhängigkeit des geschichtlichen Bildes von der geistigen Struktur des Historikers und ihrer Besonderheit ihren Sitz hat. Beschränkte sich die Geschichtskenntnis auf das, was im genauen Sinne festgestellt und "erfahren" ist, so hätten wir einen Haufen zusammenhangsloser Bruchstücke; erst durch fortwährendes, Interpolieren, Ergänzung aus Analogien, Anordnung nach Entwicklungsbegriffen werden daraus die einheitlichen Reihen der "Geschichte" - wie bekanntlich nicht einmal die Schilderung eines Straßenauflaufs durch Augenzeugen auf andere Weise zustande kommt. Allein unterhalb dieser Schicht, in der sogar die Reihen der unmittelbaren Tatsachen nur durch geistige Spontaneität zu zusammenhängenden und sinnvollen werden, liegt eine andere, geschichtsbildende, die sich ganz und gar durch diese Spontaneität gestaltet. Wenn selbst alles sinnlich feststellbare Geschehen in der Menschenwelt lückenlos bekannt wäre, so wäre all dies Sicht-, Tast- und Hörbare etwas so Gleichgültiges und Sinnloses wie das Ziehen der Wolken oder ein Rascheln in Zweigen, wenn es nicht zugleich als seelische Manifestation verstanden würde. Das metaphysische und erkenntnistheoretische Problem: wie denn der ganze Mensch, in dem die sinnliche Existenz und alles Denken, Fühlen, Wollen eine Einheit ist, durch die geringen Teilstücke seines historischen Ãœberliefertseins uns zugängig werden könnte (ein Problem, in dem sich nur das gleiche des täglichen Lebens in besonderer Formung und Erschwerung wiederholt) steht hier nicht zur Diskussion. Nur dies muss festgestellt werden, dass das Begreifen von historischen Persönlichkeiten keine einfache "Nachbildung" ihres inneren Seins und Geschehens im Geiste des Begreifenden ist und ebenso wenig ein "Einfühlen" von des letzteren eigener Seelenhaftigkeit in jene; von beidem ist weder die Möglichkeit einzusehen noch die Erklärung des rätselhaften Vorgangs zu erwarten. Vielmehr scheint, was wir Verstehen eines Menschen oder einer Menschengruppe, seitens eines anderen nennen, ein Urphänomen zu sein, von dem keine einfachereren oder kausalen Elemente, sondern nur einige gewissermaßen äußere Bedingungen und Folgen seines Eintretens anzugeben sind. Zu den ersteren gehört das eigentümliche Gleichheits- und Ungleichheitsverhältnis zwischen dem historisch erkennenden Subjekt und seinen Objekten. Eine gewisse fundamentale Gleichheit muss vorhanden sein: ein Erdbewohner würde vielleicht den Bewohner eines anderen Sternes überhaupt nicht "verstehen", auch wenn ihm dessen ganzes äußeres Verhalten bekannt wäre; und im allgemeinen verstehen wir die Volksgenossen besser, als andere Völker, Familienangehörigen besser als Fremde, die Mensch gleichen Temperamentes besser als die des entgegengesetzten. Wir begreifen einen Geist keineswegs schon deshalb, weil wir ihm gleichen; allein in irgend einem Maß (so wenig der Quantitätsbegriff Maß hier recht zutreffen mag) erscheint jenes durch dieses bedingt. Nur verstehe man dies nicht als einen mechanisch nachzeichnenden Parallelismus: man braucht kein Cäsar zu sein, um Cäsar zu verstehen, und kein Augustin, um Augustin zu verstehen; ja eine gewisse Unterschiedlichkeit schafft oft eine günstigere Distanz für die psychologische Erkenntnis eines Andern, als das Befangensein in der genau gleichen seelischen Konstellation. Das psychologische und also auch historische Verständnis bestimmt sich ersichtlich nach einer sehr variabeln und noch gar nicht analysierten Relation zwischen seinem Subjekt und seinem Objekt, die sicher nicht mit dem abstrakten Ausdruck einer einfach quantitativen Mischung von Gleichheit und Ungleichheit zu erledigen ist. Aber auf der Basis des bisher Angedeuteten scheint nun das weitere festzustehen: dass unbezweifelte äußere Tatsachen eine prinzipiell überhaupt nicht begrenzte Zahl psychologischer Unterbauten zulassen; innerhalb eines Spielraums, den freilich phantastische und in sich brüchige Konstruktionen umgeben, wird das gleiche äußere Bild in verschiedenen Seelen verschiedene innere, es sind keineswegs nur verschiedene Hypothesen über einen und denselben Sachverhalt, von denen nur eine richtig sein kann (obgleich natürlich auch dies oft genug vorkommt); sondern sie verhalten sich etwa wie die Porträts verschiedener, gleich qualifizierter Maler von dem gleichen Modell, deren keines "das richtige" ist - jedes vielmehr eine geschlossene, sich in sich selbst und durch ihr besonderes Verhältnis zu dem Objekt rechtfertigende Totalität, jedes von diesem etwas aussagend, was in der Aussage des andern gar keinen Platz hat, aber diese doch nicht dementiert. So ist etwa die psychologische Deutung, die Männer durch die Frauen finden, vielfach eine fundamental andere, als Frauen sie sich untereinander zuteil werden lassen - und ebenso umgekehrt. Die hiermit angedeuteten Zusammenhänge scheinen mir zu ergeben, dass, soweit die Geschichte angewandte Psychologie ist, das weibliche Naturell die Basis ganz origineller Leistungen in ihr sein könnte. Die Frauen als solche haben nicht nur eine andere Mischung jener Gleichheit und Ungleichheit mit den historischen Objekten, als die Männer und dadurch die Möglichkeit, anderes zu sehen, als diese; sondern durch ihre besondere seelische Struktur auch die Möglichkeit, anders zu sehen. Wie sie das Dasein überhaupt von ihrem Wesensapriori aus anders deuten als die Männer, ohne dass diese beiden Deutungen der einfachen Alternative: Wahr oder Falsch - unterliegen, so könnte auch die geschichtliche Welt durch das Medium ihrer psychologischen Interpretation einen anderen Aspekt der Teile und des Ganzen bieten. So problematisch und vorläufig nur um der prinzipiellen Zusammenhänge willen wichtig solche Möglichkeiten erscheinen - so meine ich, dass es spezifisch weibliche Funktionen in der Geschichtswissenschaft geben könnte, Leistungen aus den besonderen Wahrnehmungs-, Nachfühlungs- und Konstruktionsorganen der weiblichen Seele heraus, von dem Verständnis dumpfer Volksbewegungen und den uneingestandenen Motivierungen in Persönlichkeiten an bis zur Entzifferung von Inschriften.
Am annehmbarsten wird die Objektivierung des weiblichen Wesens in Kulturproduktionen auf dem Gebiet der Kunst erscheinen, wo schon gewisse Ansätze dazu bestehen. Immerhin gibt es in der Literatur schon eine Reihe von Frauen, die nicht den sklavenhaften Ehrgeiz haben, zu schreiben "wie ein Mann" und die nicht durch männliche Pseudonyme zu erkennen geben, dass sie von dem eigentlich Originellen und spezifisch Bedeutsamen, das sie als Frauen leisten könnten, keine Ahnung haben. Gewiss ist das Herausbringen der weiblichen Nuance auch in der literarischen Kultur sehr schwierig, weil die allgemeinen Formen der Dichtung männliche Produkte sind und daraufhin wahrscheinlich einen leisen inneren Widerspruch gegen die Erfüllung mit einem spezifisch weiblichen Inhalt zeigen. Sogar an weiblicher Lyrik, und zwar gerade an sehr gelungener, empfinde ich oft zwischen dem personalen Inhalt und der künstlerischen Form eine gewisse Zweiheit, als hätte die schaffende Seele und ihr Ausdruck nicht ganz denselben Stil. Das innere Leben, das zu seine Objektivierung in ästhetischer Gestalt drängt, füllt einerseits die gegebenen Umrisse dieser nicht ganz aus, so dass, da ihren Forderungen doch einmal genügt werden muss, dies nur mit Hilfe einer gewissen Banalität und Konventionalität geschehen kann; während andrerseits auf der Seite der Innerlichkeit ein Rest von Gefühl und Lebendigkeit ungestaltet und unerlöst bleibt. Vielleicht macht sich hierin geltend, dass "Dichten selbst schon Verrat" ist. Denn es scheint, dass die beiden Bedürfnisse des Menschen: sich zu enthüllen und sich zu verhüllen - in der weiblichen Psyche anders gemischt wären als in der männlichen. Nun aber sind die überlieferten inneren Formen der Lyrik: ihr Wortschatz, der Gefühlsbezirk, in dem sie sich hält, die Relation zwischen Erlebnis und Ausdruckssymbol - diese sind, bei allem Spielraum im einzelnen, auf ein gewisses generelles Maß der Offenbarung des Seelischen, nämlich auf das männliche, eingestellt. Will sich nun die in dieser Hinsicht anders temperierte weibliche Seele in den gleichen Formen ausdrücken, so entsteht begreiflicherweise auf der einen Seite leicht eine Fadheit (die freilich vieler männlichen Lyrik ebenso eigen ist, ohne dass aber dafür ein so genereller Zusammenhang haftbar wäre); auf der anderen die verletzende Schamlosigkeit, die bei mancher modernen weiblichen Lyrikerin aus der Diskrepanz ihres Wesens und dem tradierten Stil der lyrischen Äußerung sozusagen von selbst entsteht, bei mancher ihre Freiheit von der inneren Form der Weiblichkeit dokumentieren soll. Immerhin scheint mir in einigen Veröffentlichungen der letzten Jahre die Bildung eines lyrischen Stiles als einer spezifisch weiblichen Wesensdokumentation wenigstens von fern angebahnt. Es ist übrigens interessant, dass auf der Stufe des Volksgesangs die Frauen bei vielen Völkern mindestens ebenso und in gleich originalem Sinne produktiv sind wie die Männer. Dies bedeutet eben, dass bei noch unentwickelterer Kultur, bei noch fehlender Objektivation des Geistes keine Gelegenheit zu der hier fraglichen Diskrepanz ist. Insoweit die kulturellen Formen noch nicht speziell und fest geprägt sind, können sie auch nicht entschieden männlich sein; solange sie sich noch in dem Indifferenzzustande befinden (entsprechend der anthropologisch festgestellten größeren Gleichheit der männlichen und weiblichen Physis bei den Primitiven), sind die weiblichen Energien nicht in der Zwangslage, sich in einer ihnen nicht adäquaten Art zu äußern, sondern gestalten sich frei und den eignen - aber hier von den männlichen noch nicht wie jetzt differenzierten Normen folgend aus. Hier wie in vielen Entwicklungen wiederholt die höchste Stufe die Form der niedrigsten. das sublimierteste Gebilde der Geisteskultur, die Mathematik, steht vielleicht mehr, als irgend ein anderes Geistesprodukt jenseits von Männlich und Weiblich, ihre Gegenstände geben nicht den geringsten Anlass zu differentiellen Reaktionen des Intellekts. Und daraus erklärt sich, dass gerade in ihr mehr als in allen anderen Wissenschaften die Frauen ein tiefes Eindringen und bedeutende Leistungen gezeigt haben. Die Abstraktheit der Mathematik steht sozusagen ebenso hinter der psychologischen Unterschiedlichkeit der Geschlechter, wie jene Stufe der Volksliederproduktion vor ihr stellt. - Geringere Schwierigkeiten als die sonstigen Literaturformen scheint dem weiblichen Schaffen der Roman zu bieten; und zwar weil er seinem Problem und seiner künstlerischen Struktur nach die wenigst strenge und festgelegte Form hat. Seine Umrisslinie ist nicht sicher geschlossen, er kann nicht alle in ihm angesponnenen Fäden wieder in seine Einheit zurückknüpfen, sondern viele verlaufen sozusagen außerhalb seiner Grenze ins Unbestimmte, sein unvermeidbarer Realismus lässt nicht zu, dass er sich mit so unnachlaßlicher Rhythmik, so anschaulich gesetzmäßigem Aufbau dem Chaos der Wirklichkeit enthebe, wie Lyrik und Drama es tun. Mit den strengen Formen dieser letzteren ist ihnen ein männliches A priori gegeben, von dem die Lässlichkeit und beliebigere Ausgestaltbarkeit des Romans frei ist, so dass der Instinkt der literarischen Frauen sie von vornherein auf den Roman als auf ihre eigentliche Domäne geführt hat. Seine Form ist, gerade weil sie nicht in sehr rigorosem Sinne "Form" ist, hinreichend biegsam, um einige moderne Romane zu spezifisch weiblichen Schöpfungen werden zu lassen.
In den Anschauungskünsten nun, in denen die Bindung an das fest tradierte Wort sich erübrigt, liegt vielleicht die Ausprägung des weiblichen Seins in charakteristisch weiblichen Werken, prinzipiell am nächsten. Wir zweifeln nicht mehr daran, dass alle bildende Kunst von den psychisch-physischen Verhältnissen abhängt, von der Umsetzungsart der seelischen Bewegungen in körperliche, von den Innervationsempfindungen, von dem Rhythmus des Blickens und Tastens. Die teils unmittelbarere, teils reserviertere Art, mit der das Innenleben der Frauen in die Sichtbarkeit tritt, ihre besondere, anatomisch und physiologisch bestimmte Art sich zu bewegen, das Verhältnis zum Raum, das aus dem eigentümlichen Tempo, Weite und Formung ihrer Gesten hervorgehen muss - dies alles müsste von ihnen in den Künsten der Räumlichkeit eine besondere Deutung und Gestaltung der Erscheinungen erwarten lassen. Wenn es für die theoretische Erkenntnis richtig ist, dass der Raum in der Seele ist, so zeigt die Geste, dass die Seele im Raum ist. Die Gebärde ist nicht die Bewegung des Körpers schlechthin, sondern die daraufhin angesehene, dass sie der Ausdruck eines Seelischen ist. Darum ist sie eine der wesentlichsten Brücken und Voraussetzungen der Kunst, deren Wesen doch ist, dass das Anschauliche der Träger und die Offenbarung eines Seelischen, Geistigen, wenn auch nicht immer im Sinne der Psychologie, sei. Mit der Gebärde nimmt der Mensch einen durch sie designierten Teil des Raumes gleichsam in geistigen Besitz. Wir würden die Räumlichkeit ganz anders oder gar nicht verstehen, wenn wir uns nicht in ihr bewegten, und die Art dieser Bewegungen trägt die Art dieses Verständnisses. Natürlich überträgt der Künstler nicht seine. Gebärde mechanisch in sein Bild, aber durch vielerlei Umsetzungen und Vermittlungen hindurch bestimmt doch die Art, wie er im Raum sich bewegt, seine anschauliche Deutung der Raumerscheinungen. Am deutlichsten wird dies vielleicht an .dem kalligraphischen Charakter, der für die ostasiatische Malerei bestimmend war: hier stellt der Pinzelzug unmittelbar den physiologischen Zug der Hand dar und sein Reiz liegt in der durch optische Vermittlung nachgefühlten Leichtigkeit, Rhythmik und Natürlichkeit der Handbewegung. Mit der besonderen Geste der Frauen offenbart sich das Besondere ihrer seelischen Artung am direktesten in einem feststellbaren Äußeren. So hat sich ihre innere Rhythmik von jeher besonders in der Tanzkunst objektiviert, indem in ihr die Schematik überlieferter Formen der individuellen Impulsivität, Anmut, Gebärdungsart einen unvergleichlich weiten Spielraum lässt. Ich bin überzeugt: wenn man die Bewegungen der wirklichen Künstlerinnen des Tanzes als ornamentale Linien fixieren würde, so wären es solche, wie ein Mann sie durch keinerlei Innervationen (außer in bewusster Nachahmung) zustande brächte. Es lässt sich - bis Psychophysik und Ästhetik sehr viel weiter fortgeschritten sind - nur tastend und beweislos darauf hinweisen, dass die Frau wohl ein anderes Verhältnis zum Raum hat als der Mann - was ebenso aus ihrer überhistorischen physisch-psychischen Eigenart wie aus der historischen Beschränkung ihrer Tätigkeitssphäre auf das Haus hervorgehen mag. Die Gesten eines Menschen sind davon abhängig, in welchen Räumen er sich zu bewegen pflegt. Man vergleiche die Gesten auf deutschen Bildern des 15. Jahrhunderts mit denen auf gleichzeitigen italienischen und sehe sich dann Nürnberger Patrizierhäuser neben italienischen Palästen an. All das etwas Schüchterne, Geknitterte, Verlegene der Gebärden - dass die Gewänder über diesen Gebärden aussehen, als hätten sie zu lange in denselben Falten im Schrank gelegen - ist die Art von Menschen, die sich nur in engen Räumen zu bewegen gewohnt sind. Die Umgrenztheit der weiblichen Bewegungen durch die "vier Wände" scheint mir aber ihre Folgen keineswegs nur an deren Enge zu knüpfen, sondern vielmehr an die dauernde Gleichheit und Gewohntheit dieses Milieus. Dadurch, dass sich der Mann als "außerhalb" Tätiger in wechselnden, unübersichtlicheren, weniger von ihm beherrschten Räumen bewegt, fehlt ihm oft das Geschlossene, reibungslos Gleitende, ruhig Ausgeglichene, das die spezifisch weibliche Anmut ausmacht; dies hingegen mag durch dauernde Bewegung in Räumen entstehen, in denen man sozusagen nichts mehr zu erobern hat, sondern die nur zum erweiterten Leibe der Persönlichkeit geworden sind. Eben deshalb bedeutet dies auch nichts rein Ästhetisches, sondern wahrscheinlich eine besondere Art, den Raum zu fühlen, eine besondere Relation zwischen dein unräumlich Innerlichen und dem räumlich Anschaulichen der Bewegung; wie gesagt: ohne einen jetzt schon möglichen Beweis, erscheint plausibel, dass in den Künsten, für die die Raumgestaltung wesentlich ist, das in den Gesten der Frauen angedeutete, spezifische Verhältnis zum Raum eine Objektivierung in spezifisch weiblichen Werken zulassen müsste - gerade wie die besonderen Arten, auf die der ostasiatische, der griechische, der Renaissancemensch den Raum empfunden hat, sich in ihren Kunststilen niedergeschlagen haben.
Ganz unzweideutig aber offenbart sich das Spezifische der weiblichen Leistung in der Schauspielkunst, und zwar keineswegs nur weil die Rolle hier schon ihrem Inhalt nach eine weibliche Aufgabe ist, sondern aus dem tieferen Wesen der Schauspielkunst überhaupt heraus. Es gibt keine Kunst, in der die Leistung und die Totalität der Persönlichkeit zu so enger Einheit verbunden sind. Malerei, Poesie, Musik. haben gewiss ihr Fundament in dem ganzen geistig-körperlichen Menschen; allein sie leiten dessen Kräfte in einseitiger fließende Kanäle, an deren Ende erst die Leistung heraustritt und vieles von jenen Kräften unsichtbar werden lässt - selbst die Tanzkunst tut dies, indem sie die Rede unterdrückt, und die reproduzierende Musik, indem hier die Anschaulichkeit irrelevant wird. Den zeitlichen Ausdruck dafür bildet in jenen Künsten die Trennung des aktuellen Schöpfungsmomentes von dem selbständig weiterexistierenden Produkt, während die Schauspielkunst kein mögliches Intervall zwischen dem Prozess und dem Ergebnis der Leistung lassen kann; ihre subjektive und ihre objektive Seite fallen hier unbedingt in einen Lebensmoment zusammen und bieten damit das Korrelat oder die vorgebildete Form für jenes vorbehaltlose Eingehen der gesamten Persönlichkeit in die künstlerische Erscheinung. Wenn es aber überhaupt etwas wie eine Formel des weiblichen Wesens gibt, so deckt sie sich mit diesem Wesen der Schauspielkunst. Denn - ich muss das oben Gesagte hier wiederholen - die unzähligen Beobachtungen über das Differentielle der weiblichen Psyche lassen sich doch wohl so zusammenfassen: dass für sie das Ich und sein Tun, das Zentrum der Persönlichkeit und seine Peripherie enger verschmolzen sind, als beim Manne, dass sie den inneren Vorgang - soweit er nicht durch Sitte oder Interesse Verhüllung fordert - unmittelbarer in seine Äußerung umsetzt, bis zu der eigentümlichen Verbundenheit, die bei den Frauen seelische Alterationen so viel leichter als bei Männern in körperliche übergehen lässt. Dies ist eben doch der tiefste Grund - er wird uns noch später beschäftigen - aus dem die Frauen an der Schöpfung objektiver Kultur zu versagen pflegen: dass sie ihr Tun nicht zu einem jenseits des Tuns weiterexistierenden Objektiven führen, dass der Strom ihrer inneren Lebendigkeit seine Mündung unmittelbar aus seiner Quelle speist. Dieses, das so leicht, wenn auch irrigerweise als ein Manko erscheint - da es doch eine eigene positive, zu der männlichen polare Wesensart ist - ist in der Schauspielkunst die innerste Struktur der Leistung; hier, wo eben diese nur über einen einzigen Moment verfügt, ist in ihm das Innere und das Äußere, das Aufspringen des zentralen Impulses und seine dargebotene Erscheinung nicht auseinander zuziehen, das Resultat des Tuns ist nicht dem Tun gegenüber objektivierbar. Den engen Zusammenhang aller Wesensteile, der die Frau nicht, wie man so oft hört, zu einem subjektiven Wesen, sondern zu einem solchen macht, für das die Scheidung des Subjektiven und Objektiven eigentlich nicht besteht - eben diesen zeichnet gleichsam die ästhetische, durchaus übersubjektive "Idee" der Schauspielkunst, in der, durch keinen zeitlichen, räumlichen oder sachlichen Hiatus getrennt, das innere Leben seine Versichtbarung und Verlautbarung an sich selber trägt. Es wird kein Zufall sein, dass die romanischen Völker, denen ein, freilich schwer substanziierbarer Instinkt von je einen irgendwie weiblichen Charakter zugesprochen hat, die eigentlichen Schauspielervölker sind.
Nun enthält die Schauspielkunst eine Verwebung von letzten Elementen, die sie noch in eine andere und sehr fundamentale Beziehung zum weiblichen Wesen setzt. Das dramatische Gedicht stellt die Kontinuität abrollender, von ihrer inneren Logik pausenlos bewegter Schicksale dar. Indem der Schauspieler diese nun versinnlicht, die von ihm gebotene Anschaulichkeit aber keine einfache Ãœberführung der Dichterworte in volle natürliche Konkretheit, sondern selbst ein Kunstwerk ist, von eignen Wertnormen gelenkt - zerlegt es jenes absatzlos gleitende, gleichsam innere Geschehen des Dramas in eine Reihe von mehr oder weniger beharrenden Anschauungsbildern, denen ein Schönheitsgesetz auferlegt ist. In einer besonderen Art sind hier die Kategorien des Werdens und des Seins zur Harmonie gebracht, ist die ewige Unruhe des Schicksals in die zeitlose Stille der Schönheit gefasst, sowohl im Bühnenbild als ganzem wie in der Erscheinung des einzelnen Schauspielers. Jene Harmonie aber kann verschieden abgestimmt sein, es kann mehr das Werden, also das Schicksal und die Aktivität, oder mehr das Sein, hier also sozusagen der anschauliche Querschnitt durch das stetig sich vollziehende Schicksal zur Betonung gelangen. Je mehr das Letztere geschieht, desto adäquater wird die Leistung dem weiblichen Wesen, desto mehr erfüllt sich an ihr jene objektive Kulturforderung an die Frau zu leisten, was der Mann nicht kann. Darum hat einer unserer kenntnisreichsten Theatertheoretiker hervorgehoben, dass, wo die Frauen im Drama wirklich aktive, das Schicksal in Bewegung setzende Rollen spielen, sie stets mit männlichen Zügen ausgestattet sind.
Und hier bedarf, scheinbar in Abbiegung von unserem Gegenstand, aber tatsächlich in engem Zusammenhang mit der tiefsten Kulturbedeutung der Frau - die Frage der "Schönheit" einer besonderen Reflexionsreihe. Die widerwärtige Banalität, die die Frauen als "das schöne Geschlecht" bezeichnet, enthält dennoch einen bedeutsamen Hinweis. Gibt es eine Polarität von Wesenswerten, derart, dass der eine die machtwillige und Form gebende Beziehung auf ein reales oder ideelles Äußeres darstellt, der andere die Vollkommenheit der in sich geschlossenen, alle ihre Seinselemente nach ihrer eignen inneren Harmonie abstimmenden Existenz - so wird man den ersteren Wert als "Bedeutendheit", den letzteren als "Schönheit" bezeichnen dürfen. Was bedeutend ist bedeutet "etwas", Bedeutendheit ist freilich ein Sein, aber ein transitives, das als Leistung, Gewinn, Erkenntnis, Wirksamkeit den eigenen Umriss durchbricht und, so selbstherrlich es im übrigen sei, aus dieser Relation sein Wertmaß gewinnt. Wenn wir die Unzähligkeiten des Sollens, die historisch als die "männlichen'" gelten, auf einen abstrakten Ausdruck bringen - also absehend von dem menschlich-allgemein Ethischen - so wird es dieser sein: dass der Mann "bedeutend" sein soll; wobei das Wort natürlich alle zufälligen Abbiegungen des Sprachgebrauches abtun muss. Fasst man entsprechend das historische "weibliche" Sollen dahin zusammen: die Frau soll schön sein - so gilt auch dies in dem weiten und abstrakten Sinn, der jede Verengerung der Schönheit, etwa auf ein hübsches Gesicht, natürlich ablehnt. Es ist durchaus keine Vergewaltigung des Begriffes, zu sagen, dass eine verkrümmte Greisin "schön" sein kann. Denn in seinem vollen Sinn bedeutet er die Geschlossenheit des Gesamtseins in sich selbst, die dem Kunstwerk, dem geschlossensten Menschenwerk, seine freilich oft missdeutete Beziehung zur "Schönheit" verschafft hat, die Einheit des Inneren und des Äußeren mit ihrer vielfach sehr umwegreichen Symbolik, die Fähigkeit, mit allem Für-den-andern-dasein dennoch immer selbstgenugsam in sich zu ruhen. Während der Mann aus sich herausgeht, seine Kraft in seine Leistung entlässt und damit etwas "bedeutet", was in irgendeinem Sinne außer ihm liegt, dynamisch oder ideell, schaffend oder darstellend - ist die Wesensidee der Frau jene Undurchbrochenheit der Peripherie, jenes organische Beschlossensein in der Harmonie der Wesensteile unter sich und in ihrer gleichmäßigen Beziehung zu ihrem Zentrum - wie es eben die Formel des Schönen ist. Denn sie ist, in der Symbolik der metaphysischen Begriffe, die Seiende und der Mann der Werdende; darum muss er an einer Sache oder einer Idee, einer historischen oder Erkenntniswelt seine Bedeutung gewinnen, während die Frau in dem Sinne schön sein soll, in dem dieses "selig an ihm selbst" ist. Diese Beziehung zwischen dem weiblichen Prinzip und dem Schönheitsprinzip (wobei das letztere sozusagen nicht als Wert, sondern einfach als eine Existenzformung gedacht ist) offenbart sich allerdings auch an der körperlichen Erscheinung für sich selbst. Schopenhauers Gründe für das höhere Schönheitsmaß des männlichen Körpers scheinen mir nicht zulänglich. Auch hier kann das Männliche mehr als bedeutend gelten. Die stärkere Ausprägung der für die Arbeit wirksamen Muskeln, die entschiedener sichtbare Zweckmäßigkeit des anatomischen Aufbaus, der Ausdruck der Kraft samt der gleichsam aggressiven Eckigkeit der Formen - alles dies ist weniger der Ausdruck der Schönheit als der Bedeutung, d. h. der Möglichkeit des Aus-sich-Heraustretens, der wirkungsvollen Berührung mit einem Draußen. Denn die "Zweckmäßigkeit" des weiblichen Körpers geht nicht auf eine derartige Berührung, sondern mehr auf eine passive, oder jenseits von Aktivität und Passivität verlaufende Funktion. Die Bartlosigkeit, der Mangel des kleinlichen und den Fluss der Linien unterbrechenden Sexualorgans, die gleichmäßiger gerundeten Fettpolster - weisen den weiblichen Körper viel mehr auf das Stilideal der "Schönheit" als auf das Aktivitätsideal der "Bedeutung" hin. Zu jenem sind runde Formen mehr disponiert als eckige, weil sie die Beziehung auf ein überall gleichmäßig zusammenhaltendes Zentrumund eben damit die Geschlossenheit in sich, mit der das weibliche Wesen seinen symbolischen Ausdruck findet, anschaulich machen. So wird also die Schönheitsqualität der weiblichen Erscheinung näher liegen als der männlichen - wenn auch nur in dem Sinne, dass sie eine größere natürliche Disposition für die Schönheit mitbringt; wie entsprechend im Seelischen zwar keineswegs alle Frauen "schöne Seelen" sind, aber dennoch in ihrer psychischen Struktur die Intention auf diese konfliktlose, die Gegensätze des männlichen Lebens wie von selbst in ihre Einheit aufhebende, in ihrer Wirklichkeit die Idee einschließende Daseinsform tragen; so dass diese sich empirisch fast nur an Frauen verwirklicht findet. Wie nun das Kunstwerk überhaupt den Zauber besitzt, Wertreihen, die in der empirischen Wirklichkeit unabhängig und beziehungslos gegeneinander verlaufen, in selbstverständlicher Einheit zusammenzubinden, und in dieser Fähigkeit vielleicht sein tiefstes Wesen hat - so verknüpft der Schauspieler das dramatische Geschehen mit der anschaulichen Schönheit - zwei von sich aus für einander völlig gleichgültige Reihen - zu einer künstlerischen Einheit. Es gibt, abgesehen von dem damit verwandten Tanze, keine Kunst, in der die Schönheit so unmittelbar von der persönlichen Leistung - nicht von dem Resultat der Leistung - gefordert würde, sei es von der Statik des Momentes, sei es von dem Gleiten der Gebärde; denn indem über die Unaufhaltsamkeit des Geschehens und Sich-Bewegens die Ruhe der bildhaften Schönheit kommt, entsteht das spezifische Phänomen der "Anmut". Der männliche Schauspieler transponiert jene Forderung mehr in das Wertgebiet der Bedeutendheit hinüber, die Schauspielerin aber (gleichviel wie weit auch an sie diese letztere Forderung ergeht) ist schon durch die Formel ihres Wesens dazu disponiert, durch Aufnahme des dramatischen Inhalts in diese Formel, die schauspielerische Synthese zu realisieren.
Ich verfolge die Möglichkeiten nicht weiter, innerhalb der allgemeinen Kulturgebiete Provinzen für weibliche, den Männern versagte Schöpfungen, also für Steigerung der objektiven Kultur durch die Frauen abzugrenzen, sondern weise jetzt auf die beiden Gebiete weiblicher Leistungen hin, die im großen Stile kulturschöpferisch sind oder dafür gelten: das Haus und der Einfluss der Frauen auf die Männer. Man hat auch da, wo die höchsten Wertungen an das "Haus" gewandt worden sind, diese doch eigentlich immer an seine einzelnen Leistungen geknüpft, nicht aber an die Kategorie des Lebens überhaupt, die es darstellt. Eine Reihe der allerwichtigsten kulturellen Gebilde zeigt das eigentümliche Schema: dass ein solches einerseits ein Teil des Gesamtlebens ist, andern, gleichfalls durch ihre Wesensform abgegrenzten Gebieten koordiniert, mit diesen zusammen und in Wechselwirkung mit ihnen die Gesamtheit unseres individuellen, gesellschaftlichen, geistigen Daseins ausmachend. Andrerseits aber bildet ein jedes von ihnen eine ganze Welt, d. h. eine Form, in die die Lebensinhalte überhaupt aufgenommen und nach einem besonderen Gesetz angeordnet, behandelt, erlebt werden. Die Struktur unseres Daseins erscheint in ersterer Hinsicht als eine Summe ineinander verwebter, geformter Inhalte, in der anderen sozusagen als eine Summe von Welten, deren jede den gleichen Daseinsinhalt in je eine spezifische, oder eine Totalität darstellende Form fasst. So die Religion, die Kunst, die praktische Lebendigkeit, die Erkenntnis. jedes dieser ist ein Teil des Lebens, in wechselnden. Kombinationen als Haupt und Nebensachen bilden sie zusammen die Einheit eines ganzen individuellen wie öffentlichen Daseins. Nun aber ist auch jedes von ihnen eine ganze Welt, d. h. alle Erlebnisinhalte können unter dem Aspekte ihrer religiösen Bedeutung erlebt werden, die Gesamtheit der Dinge untersteht prinzipiell künstlerischen Formungsmöglichkeiten, alles, was die Welt uns bietet, kann Gegenstand ethisch-praktischer Attitüde werden, der Umkreis des Gegebenen überhaupt bildet zugleich Erfüllung oder Aufgabe des Erkennens. Die empirische Verwirklichung dieser durch je ein apriorisches Formgesetz gestalteten Welten ist natürlich fragmentarisch genug. Die Herrschaft eines solchen Formgesetzes ist jeweils durch die gegebene historische Lage beengt, die Hineinnahme der Inhalte durch Kraft und Lebensdauer der Individuen verendlicht. Prinzipiell aber bestehen so viele Welttotalitäten, wie Formen dieser Art bestellen und in je eine von ihnen muss jeglicher Inhalt eingehen, um erlebt zu werden - jenseits ihrer ist er nur als abstrakte Idee ausdrückbar. In der Art dieser Formen wirken, in gewisse in Einschränkungen, auch konkretere Gebilde. So der Staat. Innerhalb der Ganzheit eines Lebens, auch des für den Staat engagiertesten, ist er doch immer nur ein Element neben anderen, die anderen Formungskreisen unserer Interessen angehören. Andrerseits aber kann der Staat als eine allumfassende Form gelten, in deren Organisation und Einflußsphäre alle möglichen Lebensinhalte irgendwie hineingezogen werden können - in so wechselnden Maßen auch die historischen Staaten diese prinzipielle Möglichkeit verwirklichen. Und nun endlich: auch das "Haus" spielt diese kategoriale Doppelrolle. Es ist einmal ein Lebensmoment seiner Teilnehmer, die mit personalen und religiösen, geschäftlichen und geistigen Interessen, wie erheblich oder minim diese auch sonst seien, doch über, das "Haus" hinüberreichen und aus ihm und jenen ihr Leben zusammenbauen; dann aber ist das Haus doch eine besondere Art, in der die gesamten Lebensinhalte gestaltet werden, es gibt wenigstens innerhalb der entwickelteren europäischen. Kultur kein Interesse, keinen Gewinn oder Verlust äußerer und innerer Art, kein von den Individuen irgend berührtes Gebiet, das nicht, mit allen anderen zusammen, in die einzigartige Synthese des Hauses einströmte, keines, das nicht irgendwie in ihm abgelagert wäre. Es ist ein Teil des Lebens und zugleich eine besondere Art das ganze Leben zusammenzubringen, abzuspiegeln, zu formen. Dies nun zustandegebracht zu haben, ist die große Kulturleistung der Frau. Hier ist ein objektives Gebilde, dessen Eigenart mit nichts anderem verglichen werden kann, durch die besonderen Fähigkeiten und Interessen Gefühlsweise und Intellektualität der Frau, durch die ganze Rhythmik ihres Wesens geprägt worden. Jene beiden Bedeutungen des Hauses: als ein Teil und als ein Ganzes - gelten freilich für beide Geschlechter, verteilen aber ihre Maße doch so, dass für den Mann das Haus mehr einen Teil des Lebens überhaupt, für die Frau mehr dessen besonders ,gestaltete Ganzheit bedeutet. Darum ist der Sinn des Hauses, weder objektiv noch für die Frau, mit irgendeiner einzelnen seiner Aufgaben erschöpft, auch nicht mit der auf die Kinder bezüglichen; sondern es ist ein selbstgenügsamer Wert und Zweck, insoweit dem Kunstwerk analog, das zwar an seinem Erfolge für die Aufnehmenden seine ganze subjektive Kulturbedeutung findet, dem aber doch noch außerhalb dieser eine nur nach seiner Vollkommenheit, gemäß eignen Gesetzen, objektive Bedeutung zukommt. Dass man sich die so angedeutete kulturelle Formation des Hauses nicht oft klar gemacht hat, liegt an den flüssigen, labilen, dem Tage und den Personen dienenden Einzelheiten seiner Erscheinung worüber man die objektive Kulturbedeutung der Form, in der das Haus die Synthese dieser fließenden, verfließenden Leistungen vollzieht, übersehen hat. Immerhin ist das, was das "Haus" über die Summe seiner momentanen Leistungen hinaus und als deren eigenartige Formung an Dauerwerten von Einwirkungen, Erinnerungen, Lebensorganisation besitzt, in einer radikaleren Weise mit dem variablen und persönlichen Leben von Stunde und Jahr verknüpft, als es bei objektiven Kulturleistungen männlicher Herkunft der Fall ist. Man könnte hier, freilich mit einer weiteren Abstraktion, auf eine allgemein menschliche Korrelation hinweisen. Das dualistische, unruhige, der Unbestimmtheit des Werdens hingegebene Wesen des Mannes (denn so lässt es sich, jenseits individueller Modifikationen, in seinem Gegensatz zum Weiblichen bezeichnen) fordert seine Erlösung in dem objektivierten Tun. All die fluktuierenden Differenziertheiten des Kulturprozesses, mit denen der Mann sich, wie man es wohl symbolisch ausdrücken muss, von dem Boden des naturhaften Seins hinwegentwickelt hat, erzeugen sozusagen ihr Gegengewicht in dem bleibenden, objektiven, überindividuellen Werke, zu dem die Kulturarbeit des Mannes als solchen, des Königs oder des Kärrners, hintendiert. Man könnte schließen, dass der Mensch überhaupt eine gewisse Mischung oder Proportion dieser beiden Grundtendenzen brauche: des Werdens und des Seins, der Differenziertheit und der Gesammeltheit, der Hingebung an den Zeitverlauf und der Enthobenheit über ihn in ein Ideelles oder Substanzielles. Diese Gegensätze sind selbst mit derartigen Abstraktionen nicht in ihrer Reinheit auszudrücken, es sind die formalen Wesenselemente des Menschlichen, die dem Bewusstsein immer nur an irgendeinem einzelnen Material ihrer Funktionierung ergreifbar werden. Die Art ihrer Kombination im Typus Frau ist der eben angedeuteten im Typus Mann genau entgegengesetzt. Wir empfinden die Frau nicht so sehr unter der Idee des Werdens, als der des Seins - so unbestimmt und nur von fernher andeutend dieser Begriff auch sei. Aber das Einheitliche, Naturhafte, In-sich-Gesammelte, wodurch das weibliche Wesen sich vom männlichen abhebt, findet wohl so seine abstrakteste Kategorie. Sein "Gegenwurf" aber, und damit jene Balance der allgemein menschlichen Existenz, findet es in dem Charakter der weiblichen Tätigkeitsinhalte - die ein Verfließendes und dem einzelnen Hingegebenes sind, ein mit der Forderung des Augenblicks Werdendes und Vergehendes, nicht ein Bauen an einer in irgendeinem Sinn bleibenden, überpersonalen. Kulturwelt, sondern ein Dienen an den Tagen und an den Personen, die diesen Bau sich erheben lassen. Daher ist es die gleiche, nur etwas speziellere Korrelation, dass die Frau zwar dem Manne, der sozusagen der geborene Grenzen-Durchbrecher ist, gegenüber als das geschlossene, von strenger Grenze umzirkte Wesen erscheint - aber mit ihren künstlerischen Leistungen gerade da versagt, wo die strenge Geschlossenheit der Form prävaliert: im Drama, in der musikalischen Komposition, in der Architektur. Unter dem Vorbehalt, dass solche Begriffssymmetrien keine starren Konstruktionen sind, sondern nur einen schmalen, von tausend Veränderlichkeiten umspielten Kern darstellen, - scheinen das Wesen und die Bewährung bei den Geschlechtern die Rollen getauscht zu haben: das eine in seinem tiefsten Wesen unaufhörlich werdend, expansiv wirkend, in das zeitliche Spiel eines innerlichsten Dualismus verflochten - in seiner Bewährung aber an dem Objektiven, Beharrenden, Substanziellen wirkend; das andere in sich selbst konzentrisch, in seinem Sinn ruhend, seiner Bewährung nach aber dem fließenden Leben gewidmet und auf kein Resultat gerichtet, das nicht wieder in dieses pantarei aktueller Interessen und Ansprüche hineingezogen würde.
Indem das Haus nun diese eigenartige Struktur besitzt: in seiner ruhigen Geschlossenheit (wie sie wenigstens in seiner Idee liegt) doch alle Linien des kulturellen Kosmos irgendwie in sich zusammenzuführen und das Tun und Schaffen in ihm doch in einer anschaulich-beharrenden, inneren Einheit ablaufen zu lassen, eignet ihm jene reale und symbolische Beziehung zum Wesen der Frau, durch die es deren große Kulturtat werden konnte. - Nach einer ganz anderen Formel ist die andere kulturelle Bedeutung gebaut, die man der Frau ungefähr in folgender Weise zugeschrieben hat. Die originale und objektive Kulturleistung der Frauen bestünde darin, dass die männliche Seele zum großen Teil von ihnen gestaltet wird. So gut, wie etwa die Tatsache der Pädagogik oder die rechtliche Einwirkung der Menschen aufeinander oder auch: die Bearbeitung eines Materiales durch einen Künstler zur objektiven Kultur gehören, so gut täten es die Einflüsse, Bildungen und Umbildungen seitens der Frauen, dank deren die männliche Seele eben so ist, wie sie ist. In der Formung dieser drückten die Frauen sich selbst aus, sie schüfen hier ein objektives, und mit durch sie mögliches Gebilde; in dem Sinne, in dem man überhaupt von menschlichem Schaffen reden kann, das immer nur eine Resultante der schöpferischen, Einwirkung und der eigenen Kräfte und Bestimmtheiten ihres Gegenstandes bedeutet. Das Werk der Frau, so könnte man in diesem Zusammenhang sagen, ist der Mann, da in der Tat die Männer anders wären als sie sind, wenn nicht Einwirkungen der Frauen auf sie stattfänden; und dies geht ersichtlich dahin weiter, dass das Verhalten und die Tätigkeit der Männer, kurz die ganze männliche Kultur zu irgendeinem Teil auf die Einwirkung oder, wie man es ausdrückt, auf die "Anregung" der Frauen begründet ist. Allein hier liegt doch wohl eine Unklarheit vor. Jene "Einwirkung" mag noch so stark sein - eine Bedeutung für die objektive Kultur gewinnt sie erst, indem sie sich in den Männern in diejenigen Erfolge umsetzt, die der männlichen Wesensart entsprechen und eben nur in dieser hervorgerufen werden können. Dies ist radikal von jeder wirklichen Kulturproduktion unterschieden, deren Inhalte auf andere übergehen und dann erst eventuell in diesen mannigfaltige Wirkungen provozieren mögen. Unsere Kultur ist eben nicht nur ihren zufälligen Inhalten, sondern ihrer Form als objektive Kultur nach männlich, und dadurch, dass ihre aktiven Träger Einwirkungen, wie tiefe auch immer, von Frauen erfahren, wird diese Kultur als solche so wenig in irgend einem Sinne "weiblich", wie eine Kultur südlicher Länder, deren Träger durch das warme Klima aufs erheblichste in ihren Betätigungen, Tendenzen, Lebensinhalten beeinflusst sind, darum eine "warme Kultur" ist. Jene Lehre von der "indirekten" Kulturbedeutung der Frau begeht eine tiefe kategoriale Verwechslung: zwischen dem Ãœbergeben eines substanziell-geistigen Inhalts (der dann in dem Lebensprozess des Empfangenden weiterwirken mag) und einer unmittelbaren Einwirkung auf dieses Leben. selbst, die nicht durch einen irgendwie zeitlosen und von seinem Träger ideell lösbaren Inhalt vermittelt wird. In allen Beziehungen der Menschen zueinander, von den flüchtigsten bis zu den historisch wesentlichsten, besteht diese Unterschiedenheit, mit ihren freilich unzähligen praktischen Vermischungen - ob ein Subjekt auf das andere wirkt, wie entfaltender Sonnenschein oder entwurzelnder Sturm auf die Pflanze, also einen Erfolg hervorrufend, der in dem Bewirkenden selbst in keiner Weise vorgebildet ist, Ursache und Wirkung durch keinerlei Inhaltsgleichheit verbunden; oder ob diese letztere zwischen ihnen besteht, ein Geschaffenes, in seiner Identität beharrend; wie ein Geschenk, das aber, als ein geistiges, nicht dem Besitz des Einen verloren geht, weil es in den des Andern übergeht. Dort überträgt sich eine Wirkung des Lebens, hier ein Inhalt des Lebens. Jene mag oft die tiefere sein, mag die Geheimnisse der letzten Erschütterungen und Lebensumbildungen zwischen Mensch und Mensch tragen; aber die eigentlich kulturelle ist die andere, sie macht den Menschen zum historischen Wesen, zum Erben der Schöpfungen seines Geschlechtes, sie offenbart es, dass der Mensch das objektive Wesen ist. In diesem Falle erst empfängt der Mensch, was der andere besessen hat oder besitzt, in jenem aber etwas, was der Gebende selbst nicht hat, etwas, was in dem Empfangenden selbst, durch sein Wesen und seine Energien allein bestimmt, zu einem neuen Gebilde wird. Erst dass im Geiste der Lebensprozess sich von seinem Inhalt gesondert hat - worin die erste und letzte Möglichkeit der Kultur sich gründet - enthebt die Einwirkung der Menschen aufeinander der einfachen Kausalität, in der die Wirkung sozusagen gegen die Ursache morphologisch gleichgültig ist, und lässt den Empfangenden eben das haben, was der Gebende gibt, und nicht nur dessen Wirkung. Diese beiden Bedeutungen der "Einwirkung" verwechselt jene Theorie von der Kulturleistung der Frauen in ihrer Einwirkung auf die Männer. Was sie nur meinen kann, ist nicht das Übergehen eines Inhaltes, den jene geschaffen hätten, auf diese letzteren. Selbst die "Milderung der Sitten", die man allenfalls hier anführen könnte, ist viel weniger von den Frauen ausgegangen, als es die banale Tradition will. Weder die Aufhebung der Sklaverei zu Beginn des Mittelalters noch die spätere der Leibeigenschaft, weder die Humanisierung der Kriegsgebräuche und der Behandlung der Besiegten noch die Abschaffung der Tortur, weder die Einführung der Armenpflege im großen und wirksamen Stil noch die Beseitigung des Faustrechts gehen, soviel wir wissen, auf weibliche Einflüsse zurück. Vielmehr ist die Beseitigung sinnloser. Grausamkeiten gerade einer Objektivierung des Lebens zu danken, einer Versachlichung, die das Zweckmäßige von allen Impulsivitäten, Unenthaltsamkeiten, Kurzsichtigkeiten der Subjekte entlastet. Gewiss bringt die reine Sachlichkeit (z. B. innerhalb der Geldwirtschaft) Härten und Rücksichtslosigkeiten mit sich, die bei personalerem, also gefühlsmäßigerem Verfahren vielleicht nicht aufkommen. Dennoch ist die "Milderung der Sitten" nicht von diesem, sondern von den rein objektiven Entwicklungen des Geistes ausgegangen, die gerade das spezifisch Männliche der Kultur darstellen. Der Typus: dass ein Mensch einem andern gibt, was er selbst nicht hat, ist nirgends stärker als im Verhältnis der Frauen zu den Männern realisiert. Das Leben, ja die Geistigkeit unzähliger Männer wäre anders und ärmer, wenn sie nicht etwas von Frauen empfingen. Aber was sie empfangen, ist nicht ein Inhalt, der so schon in den Frauen bestünde - während das, was die Männer dem geistigen Leben der Frauen geben, ein bereits formfest Gewordenes zu sein pflegt. Was die Frauen geben, ist, paradox gesagt, ein Unmitteilbares, ein in ihnen verbleibendes Sein, - das, indem es den Mann berührt, in ihm etwas auslöst, was phänomenologisch mit jenem gar keine Ähnlichkeit hat; erst in ihm wird es "Kultur". In dieser Modifikation allein kann es verstanden werden, dass die Frauen die "Anregerinnen" der männlichen Kulturleistungen sind. In einem unmittelbareren, den Inhalt selbst einschließenden Sinne aber nicht: man kann unmöglich Rahel die "Anregerin" der Arbeit Jakobs nennen, sowenig wie in einem solchen Sinne Dulcinea von Toboso die Taten Don Quixotes oder Ulrike von Levetzow die Marienbader Elegie "angeregt" hat. -
Im großen und ganzen bleibt also das Haus die große Kulturleistung der Frauen, weil die angedeutete, einzigartige Struktur des Hauses als einer Lebenskategorie es ermöglicht hat, dass Wesen, die im allgemeinen der Objektivierung ihres Lebens so fern stehen, diese doch gerade an ihm im breitesten Maße vollziehen konnten. Die Hausführung gehört in eminentem Maße in jene, am Anfang dieser Seiten hervorgehobene Kulturkategorie der "sekundären Originalität". Hier sind typische Zwecke und allgemeine Verwirklichungsformen vorgezeichnet, beide aber doch in jedem Falle auf individuelle Variabilität angewiesen, auf spontane Entschlüsse, Verantwortung in unwiederholten Situationen. Der Hausfrauenberuf, in all seiner Mannigfaltigkeit von einem durchaus einheitlichen Sinn gelenkt, ist so ein mittleres Gebilde, zwischen der Produktion aus dem urschöpferischen Ich heraus und der bloßen Wiederholung vorgezeichneter Betätigungsformen; und dies begründet seine Stellung in der sozialen Wertungsreihe. Es gibt eine Reihe männlicher Berufe, zu denen es keiner spezifischen Begabung bedarf und die dennoch nicht inferior sind, nicht notwendig schöpferisch und individuell und doch das Individuum von keinem sozialen Range ausschließend: so der juristische und viele kaufmännische Berufe. Diese soziale Formung besitzt auch der Hausfrauenberuf: er kann von jeder bloß durchschnittlichen Begabung erfüllt werden und ist doch nicht subaltern, braucht es wenigstens nicht zu sein. Eine längst trivial gewordene Beobachtung muss hier wiederholt werden. Indem die moderne Entwicklung für eine steigende Zahl von Frauen den Hausfrauenberuf ausschließt, ihn für andere innerlich entleert: durch Ehescheu der Männer, durch die Schwierigkeit der Ehe bei gewachsener Individualisierung, durch die Beschränkung der Kinderzahl, durch Expatriierung unzähliger Herstellungen aus dem Hause heraus - wird die Betätigungsschicht der sekundären Originalität den Frauen mehr und mehr verschlossen und sie werden in die Alternative der ganz hohen und der ganz tiefen Berufe gedrängt: in die höchsten, geistig produktiven, für die die Begabung immer nur ganz exzeptionell ist, und in die inferioren, die unter ihren sozialen und personalen Ansprüchen bleiben. Als Pendant zu der juristischen Laufbahn, die unspezifisch und doch nicht subaltern ist, besitzen sie, von ganz engen Bezirken abgesehen, nur den Hausfrauenberuf; denn dass der Lehrerinnenberuf als ein solcher gilt, ist ein verhängnisvolles Missverständnis, das nur aus der drängenden Not um einen derartigen Zwischenberuf erklärlich ist; in Wirklichkeit fordert die pädagogische Tätigkeit genau so spezifische Beanlagtheit, wie irgendeine wissenschaftliche oder künstlerische. Ist dies der Aspekt von der geschichtlichen Gegebenheit her, so ist es naturgemäß viel schwieriger, in der Richtung der obigen Andeutungen die Zukunftsmöglichkeiten zu ermessen, die für eine objektiv weibliche Kultur bestellen, für die Produktion solcher Inhalte, die die Männer als solche prinzipiell nicht leisten können. Führte die neu erstrebte Bewegungsfreiheit der Frau zu einer Objektivation des weiblichen Wesens, wie die bisherige Kultur eine solche des männlichen Wesens ist, und nicht zu inhaltsgleichen Wiederholungen der letzteren durch die Frauen (den spezifischen Wert hiervon diskutiere ich nicht) - so wäre damit freilich ein neuer Weltteil der Kultur entdeckt. Nicht ein "selbständiges Menschentum", das man von einem andern Standpunkt aus als das Ideal der Frauenbewegung bezeichnet hat, sondern ein "selbständiges Weibtum" kann uns hier als solches Ideal gelten; schon weil angesichts der historischen Identifizierung von Männlich und Menschlich jenes Menschentum sich, auf seine Inhalte hin genau angesehen, als Männertum herausstellen würde. Alle derartigen Zielsetzungen gehen schließlich dahin, dass die Frauen werden und haben wollen, was die Männer sind und haben. Den Wert davon stelle ich hier nicht in Abrede, aber vom Standpunkt der objektiven Kultur aus ist nicht er zu erwägen, sondern nur das selbständige Weibtum, d. h. die Herauslösung des spezifisch Weiblichen aus der Unmittelbarkeit des verfließenden Lebensprozesses zu der Selbständigkeit realer und ideeller Gebilde. Man könnte um dieses Ideales willen freilich so weit gehen, in sein völliges Gegenteil als in seine nächste Bedingung zu willigen: in die mechanische Gleichmacherei von Erziehung; Rechten, Berufen, Verhalten; man könnte meinen, dass nachdem die Leistung und die Position der Frauen so lange in einer übertriebenen Ungleichheit mit den Männern verharrten, die das Herausarbeiten einer spezifisch weiblichen Objektivität hintangehalten hat, nun zunächst einmal das entgegengesetzte Extrem, die übertriebene Gleichheit, passiert werden müsste, ehe sich, über diese hinweg, die neue Synthese: eine objektive Kultur, die mit der Nuance des Weiblichen bereichert ist, erheben könne wie es heute extreme Individualisten gibt, die Sozialisten sind, - weil sie allein von dem Durchgang durch einen nivellierenden Sozialismus eine wahrhaft naturgemäße Rangierung und eine neue Aristokratie, die wirklich die Herrschaft der Besten wäre, erwarten. Ich diskutiere hier indes weder die Wege zu einer objektiven weiblichen Kultur noch das Quantum ihrer Inhalte, zu dessen Realisierung eine Chance bestehen möchte. Aber unüberhörbar bleibt in der Schicht der Prinzipien ein formales Problem, auf das als auf das tiefste und letztentscheidende die bisherigen Ãœberlegungen allenthalben hingedrängt wurden: ob nicht überhaupt dem spezifisch weiblichen Sein in seinem Innersten die Objektivation seiner Inhalte widerspricht; ob nicht etwa schon mit dieser Frage und Forderung der hier gerade so oft gerügte Denkfehler begangen wird: an das weibliche Wesen ein Leistungskriterium heranzubringen, das gerade aus dem differenziell männlichen Wesen hervorgegangen ist. Der Begriff der objektiven Kultur erschien als ein so abstrakter, dass, wenn er auch geschichtlich nur mit männlichem Inhalt gefüllt wäre, doch die Idee einer zukünftigen weiblichen Konkretisierung seiner aufkommen konnte. Vielleicht aber ist doch die objektive Kultur nicht nur als ihr bisheriger Inhalt, sondern rein als solche, als Bewährungsform überhaupt dem weiblichen Wesen derartig heterogen, dass objektive weibliche Kultur eine contradictio in adiecto ist.
Niemand wird leugnen, dass einzelnen Frauen objektive Kulturschöpfungen gelingen oder gelingen können; aber damit ist noch nicht entschieden, ob in dieser Schöpfung das Weibliche als solches, das, was kein Mann kann, objektiviert ist. Es gilt nur unter sehr starken Modifikationen, dass man den Menschen an seinen Werken erkennt; wir sind manchmal mehr als unser Werk, manchmal, - so paradox es klingt - ist unser Werk mehr als wir, manchmal ist beides wie fremd gegeneinander oder deckt sich nur mit zufälligen Abschnitten. Ob in irgend einem Kulturgebilde - von dem "Hause" mit seiner einzigartigen Struktur abgesehen - die Wesenseinheit der Frau wirklich "objektiver Geist" geworden ist, können wir mit vollkommener Sicherheit nicht sagen; wodurch denn freilich um so wahrscheinlicher wird, dass nicht der Zufall der einzelnen Kulturinhalte und ihrer geschichtlichen Entwicklung die spezifisch weibliche Kultur hintangehalten hat, sondern eine prinzipielle Diskrepanz zwischen der Form des weiblichen Wesens und der der objektiven Kultur überhaupt. Je radikaler auf diese Weise männliches und weibliches Wesen auseinander treten, desto weniger folgt aus dieser Spaltung die - gewöhnlich von ihr abgeleitete - Deklassierung der Frauen, desto autonomer erhebt sich ihre Welt auf einem völlig eignen, mit der männlichen Welt nicht geteilten und von ihr nicht entlehnten Baugrund - wobei natürlich unzählige Gemein- samkeiten dadurch entstehen können, dass keineswegs alles, was der Mensch tut und lebt, sich aus jenem letzten Grund seines Weibtums oder Manntums entwickelt. Der äußerste Punkt, zu dem sich das Selbständigkeits- und Äquivalenzideal der Frauen innerhalb der kulturgeschichtlichen Betrachtung schien erheben zu können: eine objektive weibliche Kultur, der männlichen parallel und damit deren historisch gewalttätige Idealisierung aufhebend - auch dieser Punkt ist hier noch, in der gleichen Richtung, überschritten. Jene männliche Monopolisierung der objektiven Kultur würde nun wieder zu Rechte bestehen, weil sie schon als formales Prinzip. ein einseitig-männliches wäre, neben dem, an seinem Maßstab nicht zu messen und seinen Inhalten keine gleichgeformten zur Seite stellend, die weibliche Existenzform als eine andere und von dem letzten Wesen her selbständige sich darböte. Der Sinn dieser ginge nun nicht mehr auf eine Äquivalenz innerhalb der allgemeinen Form objektiver Kultur, sondern auf eine solche zweier ganz verschieden rhythmisierter Existenzarten, deren eine die dualistische, auf Werden, Wissen, und Wollen gerichtete ist und damit ihre Lebensinhalte aus den Lebensprozess heraus in eine Kulturwelt objektiviert; während die andere jenseits der so subjektiv angelegten und der so objektiv entwickelten Zweiheit steht, und deshalb ihre Lebensinhalte nicht in eine gleichsam ihr äußere Form hineinleben, sondern für sie eine nach innen gewandte Perfektion suchen müsste. Und daraufhin könnte man nun noch den vorherigen Ausdruck widerrufen: dass die Frauen eine eigne, von den Fundamenten her mit der männlichen unvergleichbare Welt besäßen. Denn wird das weibliche Wesen in dem radikalen Sinne gefasst, der nicht eine einzelne Frau, sondern das Prinzip ihrer Eigenart beschreiben will; der nun zwar die Gleichung: objektiv = männlich anerkennt, um die andere männlich = menschlich umso fundamentaler aufzuheben - so gestaltet sich das weibliche Bewusstsein vielleicht gar nicht zu einer "Welt" aus. Denn "Welt" ist eine Form von Bewusstseinsinhalten, gewonnen durch die Zugehörigkeit eines jeden von ihnen zu einem Ganzen, in dem jeder Teil außerhalb jedes andern und ihre Summe irgendwie außerhalb des Ich ist. Sie ist also das - niemals ganz realisierbare - Ideal eines Ich, dessen transzendentale Funktion das Herausgehen aus sich selbst und das Bilden außerhalb seiner ist. Sie würde also als transzendentale Kategorie nicht in Frage kommen, wo das metaphysische Wesen von Seelen sich nicht in der dualistisch-objektivistischen Richtung orientiert, sondern sich in einer Vollkommenheit des Seins und des Lebens selbst abschließt.
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