Kultur, Logik und Sprache
von Lennart Nørreklit
Vernunft vs. Widerspruch, Konflikt vs. Krieg
Ich möchte hier den kürzlich von Wolfgang Sohst verteidigten Kulturrelativismus (siehe: „In höchster moralischer Not“, Leitartikel vom 23.10.2014) bezüglich Logik und Sprache etwas in Frage stellen.
Zweifellos gibt es unterschiedliche Kulturen und wertvolle Beiträge aus jeder von ihnen. Und es ist wichtig, dass wir nicht nur von unserer eigenen Kultur lernen, sondern auch versuchen eben das zu lernen, was andere Kulturen Wertvolles erschaffen haben, z.B. deren Philosophie, deren Kunst, deren Narrative etc. Aber Moment einmal: Nach der These vom Kulturrelativismus ist das ja gar nicht möglich! Fast jede Kultur hat ja ihre eigene Sprache und manchmal sogar eine eigene Logik. Wenn dem so ist, kann man womöglich gar nicht mehr verstehen, was ein Mitglied einer anderen Kultur überhaupt sagen will. Verschärfend kommt hinzu: Viele Kulturen haben gar keine Philosophie in unserem Sinne des Wortes; „Philosophie“ ist ja ein griechischer, westlicher Begriff. Und womöglich verfügen sie auch über keine Logik, wenigstens nicht in unserem Sinne. Am Ende haben sie nicht einmal eine Kultur, denn auch „Kultur“ ist ein westlicher Begriff. Daraus folgt: Per Saldo zwingt uns der Kulturrelativismus zu einen schlecht versteckten Eurozentrismus, weil die europäische Kultur und Tradition letztlich das einzige ist, was wir angeblich überhaupt verstehen können. Aber es kommt noch schlimmer: Der Kulturrelativismus ist selber ein Eurozentrismus! In anderen Kulturen gilt er womöglich nicht oder ist überhaupt ganz unbekannt. Dort mögen die Menschen stattdessen Kultur-Absolutisten sein, ohne dass man aus kulturrelativistischer Sicht das Geringste dagegen einwenden kann. In Anbetracht dieser Überlegungen fragt sich, ob der Kulturrelativismus nicht selber ein Absolutismus ist? Da wird mir ganz schwindlig, wenn sich mir solche Fragen auftun. Praktisch gesehen kann man diesem Relativismus zufolge zwar in der Welt reisen und sich über die kulturelle Vielfalt wundern oder auch freuen, aber verstehen kann man sie nicht. Also kann man sicher auch nichts von den Errungenschaften anderer Kulturen als der jeweils eigenen lernen. Eine Verständnisbrücke zwischen den Kulturen existiert nicht. Das wäre zweifellos sehr schade – wenn es denn wirklich so ist.
Eine solche Haltung hätte ernsthafte Konsequenzen bezüglich kultureller Unterschiede und Spannungen, und zwar sowohl in der internationalen wie in der nationalen Politik. Das Verwerfen einer allgemeinen (im Sinne von „universalen“) Logik und somit einer möglichen gemeinsamen Sprache schließt gegenseitiges sprachliches Verständnis aus. Strikt genommen sind damit auch keine gemeinsamen Problemlösungen durch gemeinsames Überlegen mehr möglich. Als einzige Problemlösung bleibt dann nur noch die physische Überlegenheit des einen gegenüber dem anderen – wenn man solche 'Problemlösungen' durch mehr oder weniger rücksichtslose Unterdrückung überhaupt als solche bezeichnen kann. Sie gipfeln in einer einzigen Frage: Wer gewinnt?
Nun, ich denke, dass zumindest ein Teil der Kulturrelativisten in Wirklichkeit das Umgekehrte meint. Betrachten wir deshalb die Argumente etwas näher, ob es wirklich so ist, wie ihnen hier unterstellt wird: Gibt es wirklich unüberbrückbare logische und sprachliche Unterschiede zwischen den Kulturen, oder ist es in Wirklichkeit nicht umgekehrt, das gerade die Offenheit und Allgemeinheit der Logik und der Sprache den Bau interkultureller Brücken und die Entwicklung eines interkulturellen Verständnisses ermöglichen – vorausgesetzt, da ist ein Wille zum interkulturellen Verständnis?
Der geringste Widerspruch und eine gemeinsame Logik
Dies scheint auch die Darstellung von Wolfgang Sohst zu betreffen. Er schlägt ja vor, die Idee von Christine M. Korsgaards Kantinterpretation bezüglich des geringsten Widerspruchs in den Überzeugungen einer Person als Maßstab in der internationalen Politik zu gebrauchen. Das bedeutet doch, dass Sohst in Wirklichkeit den Satz des Widerspruchs auch in interkulturellen politischen Verhältnissen anerkennt. Die Idee des geringsten Widerspruchs setzt offenkundig eine gemeinsame Logik voraus. Wenn es keine gemeinsame Logik gäbe, wenn also verschiedene Kulturen jeweils ihre eigene Logik hätten, was wäre dann unter ‚der geringste Widerspruch‘ zu verstehen? Mit welcher Logik sollte man den geringsten Widerspruch einschätzen? Ein Widerspruch ist ein solche immer nur innerhalb ein und derselben Logik und nicht zwischen unterschiedlichen Logiken. Erst durch eine Logik ist ein Widerspruch als solcher überhaupt bestimmbar. In der sozialen Praxis führt das Fehlen einer gemeinsamen Logik zu Streit, Kampf und Konflikt; das ist aber etwas anderes als ein Widerspruch! Ein logischer Widerspruch, d.h. eine Kontradiktion, ist etwas ganz anderes als deren praktische Konsequenzen. Nun ermöglicht uns aber genau dieser Unterschied die reflektierte Problemlösung.
Es besteht ein dynamisches Verhältnis, d.h. keine Identität, zwischen diese beiden Größen, und diese Dynamik ist entscheidend unter anderem für die Möglichkeit eines besonnenen und vernünftigen Zugangs zu Konflikten und deren Lösungen. Vielleicht versteckt sich auch eine Verwechslung der Begriffe ‚Widerspruch‘ und ‚Konflikt‘ in dem nicht unmittelbar klaren Sohst’schen bzw. Korsgaard’schen Postulat des geringsten Widerspruchs. Konflikte und Uneinigkeiten können mehr oder wenig gering sein, aber ‚geringe Widersprüche‘: ist so etwas logisch überhaupt möglich?
Wenn man aber ein Konflikt in eine Sprache umgesetzt und als Widersprüche zwischen zwei Partien ausgedrückt - und somit den Konflikt innerhalb einer Logik zeigt - dann man kann man auch Unterschiede suchen. Damit ließe sich nicht nur der Widerspruch überwinden sondern auch oft vernünftige Lösungen des jeweiligen Konflikts ausarbeiten. So werden Streit und Kampf durch Zusammenarbeit und Gemeinschaft zivilisiert – wenn die Beteiligten dies wollen. Das setzt aber eine gemeinsame Logik voraus. Wer das als philosophisch unmöglich behauptet, gibt jedem kampflustigen Sturkopf ein Alibi sich nicht mit vernünftigen Diskussionen und gemeinsame Analysen statt kriegerischen Benehmens zu befassen. Das Alibi lautet dann immer: "Etwas anderes ist nicht möglich."
So etwas Wunderbares wie 'die Möglichkeit besonnene Problemlösungen durch gemeinsame Diskussion und Analyse' sollte man nicht leichtfertig verwerfen. Nur wenn es diese Möglichkeit tatsächlich nicht gibt, wenn sie eine Illusion ist, dann muss man sie verwerfen. Das hat ernste Konsequenzen. Dazu bedarf es allerdings des Nachweises, d.h. nur des Beweises, dass keine einheitliche Logik existieren kann, und dass es deshalb gar keine einheitliche Sprache existieren kann, weil Sprachen grundlegend unübersetzbar sind.[1]
Wenn dies bewiesen sein sollte, gäbe es keine rationale Koppelungsmöglichkeit zwischen Kulturen. Gibt es diesen Beweis? Oder gibt es sogar ein Beweis für das gegengesetzte? - Wenn man das Gegenteil beweisen könnte, bedeutete dies zumindest einen kleinen Schimmer von Optimismus, und es würde der philosophischen Auseinandersetzung darum ernsthafte praktische Bedeutung zukommen lassen.
Ein erster Nachweis - eine Einschränkung des Relativismus
Angenommen, dass die Logik von der Kultur abhängt – also: dass der Satz vom Widerspruch würde nur in einer gewissen Kultur und nicht in anderen und nur in einer gewissen Sprache und nicht in anderen gültig sein. Es wird ja z.B. behauptet dass der Satz vom Widerspruch nicht gilt in einige Formen des Buddhismus und zugehörige Sprachen.
Was bedeutet diese Behauptung? Wenn der Satz von Widerspruch[2] in einer Sprache nicht gilt, dann müssten in dieser Sprache beide Sätze eines Widerspruchs wahr sein können. Genau das verneint der Satz vom Widerspruch. In einer solchen Sprache könnten Menschen gar nicht uneinig sein, weil ein Widerspruch gegen eine Behauptung die Geltung der widersprochenen Behauptung gar nicht aufhebt. Es würde in unserer Auffassung von ‚Widerspruch‘ folglich gar kein Widersprechen geben. Dies würde ferner bedeuten, dass man in diese Sprache nicht wissen könnte was ein normaler Satz bedeutet, z.B.: "2 + 2 Äpfel = 4 Äpfel", weil es zur gleichen Zeit auch wahr sein kann das "2+2 Äpfel ≠ 4 Äpfel". Folglich kann man unter diesen Umständen gar nicht schließen, wie viele Äpfel man überhaupt hat, wenn man 2 + 2 Äpfel hat, oder z.B. wie das Wetter ist wenn es regnet. Das lässt sich nämlich nicht mitteilen. Man muss selber nachsehen, aber man kann es nicht mitteilen, weil alle Aussagen dieser Art mehrdeutig sind. Keine informative Beschreibung von Sachlagen ist in dieser Sprache möglich, keine Behauptung ist möglich, weil sie sich nicht von ihrer eigenen Negation abgrenzen würden und deshalb nichts mitteilen und keinen Unterschied angeben können. Solche Sprachen kann es zwar geben, z.B. in Gestalt tierischer Signalsprachen oder nicht interpretierte digitale Sprachen, nicht aber einer menschlichen, im praktischen Alltag verwendeten Sprache.
Dieses Argument der Form reductio ad absurdum zeigt nun, dass man nicht allgemein behaupten kann, es gebe keine gemeinsame Logik. Es bedeutet aber nicht, dass es nicht doch logische Unterschiede zwischen Kulturen und zwischen Sprachen geben kann. Solche Unterschiede sind aber nicht fundamental in dem Sinne, dass keine gemeinsame Verständigung über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg möglich wäre. Das aufgezeigte Minimum an gemeinsamer Logik müsste bereits genügen eine gemeinsame Sprachbrücke bauen zu können – sofern der Wille dazu vorhanden ist.
Zweiwertige und mehrwertige Logik
Sohst behauptet, das die zweiwertige Logik nur in der westlichen Kultur gilt. In der westlichen Kultur haben wir aber auch mehrwertige Logiken. Diese wurden nicht nur von Logikern wie Łukasiewicz[3] entwickelt, sondern haben auch einen grundlegenden Platz im allgemeinen Sprachgebrauch. Auf die Frage "Regnet es?" antwortet man z.B. manchmal so etwas wie: "Ja und nein – es regnet ein bisschen, aber nicht richtig." – Das sieht wie ein Widerspruch aus, ist es aber nicht. Hier ist ein dritter Wert ausgedrückt. Es bedeutet, dass es so wenig regnet, dass man es nicht richtig als Regen bezeichnen kann, aber auch nicht so wenig, das man es als trockenes Wetter bezeichnen kann. Unsere Begriffe, wie der Begriff des Regens, sind meistens nicht scharf abgegrenzt. Deshalb gibt es immer wieder ‚Zwischen-werte‘ und wir verwenden deshalb immer wieder eine Art mehrwertiger Logik zur Bewältigung dieses Problem. (Häufig ist dies ist allerdings gar kein logisches Problem, sondern nur die Folge einer semantischen Ungenauigkeit unserer Alltagssprache.)
Nun: Gerade den komplizierten mehrwertigen logischen Ausdruck können wir klar darlegen, weil wir eine 2-wertige Logik zur Verfügung haben. Wenn man mit mehr als zwei Werten arbeitet, muss man nämlich für jeden dieser Werte überlegen und entscheiden können, ob dieser Wert Anwendung findet oder nicht. Und das ist eine zweiwertige Überlegung. Man muss also die einfache Negation anwenden, deren Kern die zweiwertige Logik ist („ja“ oder „nein“ bzw. „wahr“ oder „falsch“). Ohne diese kann man keine mehrwertige Logik aufbauen. Wir wissen, dass die Welt so kompliziert ist, dass meistens keine einfachen Ja/nein-Antworten gegeben werden können. Und genau das können wir mittels der zweiwertigen Logik nicht nur demonstrieren sondern auch bewältigen, indem wir eine Vielfalt von Werten entwickeln können. Ohne die zweiwertige Logik würde die Komplexität für uns verschwinden und auf einen einfachen Wert reduziert werden.
Hätte man in einer Kultur eine dreiwertige Logik ohne vorgängig auch über eine zweiwertige Logik zu verfügen, so würde die dreiwertige Logik also nicht funktionieren können. Zur Verdeutlichung: Angenommen, die Logik in einer solchen Kultur hat die Werte 1, 2 und 3, und ferner verfügt sie über keine zweiwertige Logik. "1" könnte z.B. auf "ja", "3" auf "nein" und "2" mit irgendetwas dazwischen verweisen. Nun sollen wir für ein Satz S in dieser Sprache bzw. Kultur entscheiden welchen logischen Wert er hat. Wie macht man das? Zum Beispiel so:
(1) Der Satz S hat entweder den Wert 1, 2 oder 3.
Das ist die definierende Regel. Also, man muss wählen. Die Regel ist mittels einer Disjunktion ausgedrückt. Das ist schon beunruhigend weil die Disjunktion ja bereits Teil einer Logik ist. Aber welche? Wir kennen sie ja nur als Teil unsere Logik. Aber wählen ist ja immer mit einer Disjunktion verknüpft. Man entscheidet: Dies oder das. Was sollte sonst das Wählen bedeuten? Wenn wir die Idee einer solchen Logik überhaupt verstehen wollen, dann müssen wir zugeben, dass wir hier eine (unter anderem) „westliche“ Form der Disjunktion vor uns haben. Da diese für die andere Kultur gilt, gibt es also bereits in dieser wichtigen Hinsicht eine gemeinsame Logik. Ferner: Die Entscheidung zwischen 1, 2 oder 3 als logischer Wert eines Satzes ist sogar unmittelbar eine Anwendung der zweiwertigen Logik, denn ein Wert wird entweder dem betreffenden Satz zugeschrieben oder nicht. Das ist reine zweiwertige Logik! Wer dies bestreitet kann nicht mehr sagen, was eine Wahl ist bzw. was sie praktisch bedeutet. Die dreiwertige Logik kann also nur mit Hilfe einer vorgängigen, zweiwertigen Logik bestimmt werden, d.h. sie setzt diese voraus. Das gilt für jede Sprache, die mit behauptenden Sätzen operiert. Daraus folgt: Logik ist als solche nicht durch Kultur bestimmt. Sie ist aber ein Instrument, mit deren Hilfe man gemeinsam reflektieren kann trotz kultureller Unterschiede, und mit deren Hilfe man auch ohne Gewalt Kulturen beeinflussen kann.
Genese und Gültigkeit
Die formale Logik wurde in der westlichen Philosophie und Wissenschaft entwickelt. Hier wurde aber auch die mehrwertige Logik und die moderne Naturwissenschaft entwickelt als Grundlage der modernen Wissenschaft und Technik, sowie die euklidische sowie die nicht-euklidische Geometrie und die Moderne Mathematik. Keiner würde hieraus ableiten, dass die Geometrie, die Mathematik, die Naturwissenschaft und die Naturgesetze, z.B. die Relativitätstheorie, nur im Westen gelten, und dass die auf diesen Prinzipien basierenden Maschinen nur im Westen funktionieren?
Ebenso verhält es sich auch mit der zweiwertigen Logik. Ihre Gültigkeit hängt weder von der Kultur noch von ihrer Genese ab. Logische Gültigkeit hat nichts mit Kultur zu tun. In keiner der logischen Regeln, Axiome oder formalen Sprachelemente gibt es einen Hinweis, dass diese auf eine bestimmte Kultur eingeschränkt sind.
Hier scheint also ein genetischer Fehlschluss[4] zu lauern, indem die Genese mit Gültigkeit verwechselt wird. Dieser Fehlschluss mag allgemein sein und sogar die ganze Weltpolitik verseuchen, was in der Tat furchtbar wäre! Aber es bleibt ein Fehlschluss. Umso wichtiger ist es, dass Philosophen die Argumente und die Logik verstehen und anwenden können um solche politische Sachverhalte zu klären. Es ist erst recht wichtig, das die wissenschaftliche Schulung unserer Führungskräfte die nötigen Fähigkeiten solche Argumente zu verstehen und durchschauen vermittelt. Es genügt nicht, dass sie rechnen können, tüchtige Medien Benützer sind und gute kulturelle und persönlich politisch-ökonomische Netzwerke entwickeln können. Sie müssen auch klar denken können - erst recht in interkulturelle Angelegenheiten. Die absurde Interventionen und Entwicklung internationale politische Spannungen unterstreichen dieses Bedürfnis.
Sprachen sind offen
Ein Teil der relativistischen Argumentation bezieht sich auf die kulturelle sprachliche Spezifizität der Begriffe. So schreibt Sohst z.B., das der Begriff der Philosophie westlich ist und in der Chinesischen Sprache nicht existiert. Da kann man erstaunt sein. Viele kennen ja, wie ich selbst, chinesische Philosophen in China. Diese beherrschen die westliche Philosophie gut, und manche von ihnen beherrschen auch etwas, das sie selbst „Chinesische Philosophie“ nennen. Es gibt tatsächlich auch sehr viele westliche Bücher über chinesische Philosophie. Natürlich können sie Philosophien entwickeln, obwohl sie das Wort "Philosophie" nicht in ihrer Sprache haben. Alles andere wäre ja wieder eine Form des besagten genetischen Fehlschlusses.
Doch halt: "Philosophie" ist ja nicht nur kein chinesisches Wort, es ist ja nicht einmal ein deutsches, sondern ein altgriechisches Wort. Die germanischen Sprachen haben einfach das Wort von den alten Griechen importiert. Das ist kein Problem. Alternativ könnte man auch ein neues Wort mit diese Bedeutung konstruieren. Genau dies können die Chinesen auch tun und haben es bereits getan. Die haben ja Professoren und Ausbildungen in Philosophie. Was ist dann das Problem? Natürlich können Chinesen über Philosophie sprechen - auch in ihrer Sprache. Die Vorstellung, eine (menschliche) Sprache sei ein abgeschlossenes Ganzes, in dem nur gegebene Wörter vorkommen, stimmt nicht. Sprachen sind an sich offen. Der Wille zur Macht ist dies nicht. Den kann man aber im Prinzip verstehen und vielleicht beeinflussen. Je tüchtiger die internationale Politik das vermag, je besser ist die Welt. Militärische Intervention ist dagegen wenig vertrauenswürdig.
* * *
Anmerkungen:
[1] Willard v. O. Quine hat dieses Problem unter dem Stichwort „radikale Übersetzung“ bereits 1960 in seinem Buch „Word and Object“ thematisiert. Er kommt zu dem Schluss, dass eine letztendliche Sicherheit des sprachlichen Verständnisses einer Äußerung, am Ende sogar einer solchen in der eigenen Sprache, nicht möglich ist. Donald Davidson hat diese Einsicht zu mildern versucht, indem er die Semantik als ein holistisches Phänomen deutete, wo jede Einzelbedeutung durch zahlreiche Querbezüge abgesichert wird (siehe seine Beiträge „Radikale Interpretation“ und „Wahrheit und Bedeutung“ in: „Wahrheit und Interpretation“, Suhrkamp 1986).
[2] Der ‚Satz vom Widerspruch‘ besagt, dass zwei einander widersprechende Aussagen nicht zugleich wahr sein können, aussagenlogisch ausgedrückt durch: ¬ (p ∧ ¬ p). Er wurde bereits von Aristoteles (Metaphysik 1005 b) postuliert. Der Satz vom Widerspruch ist zu unterscheiden vom Satz vom ausgeschlossenen Dritten und vom Bivalenzprinzip, d.h. dem Prinzip der Zweiwertigkeit logischer Aussagen.
[3] Jan Łukasiewicz (1878-1956) war ein einflussreicher polnischer Philosoph, Mathematiker und Logiker. Zur vorstehenden Frage siehe seine „Philosophische Bemerkungen zu mehrwertigen Systemen des Aussagekalküls“ in: Comptes rend. d. séances d. l. Soc. d. Sciences et d. Lettres d. Vars. Cl. III. 1930.
[4] Ein genetischer Fehlschluss ist ein Fehlschluss, in welchem die Wahrheit einer Konklusion mit seiner Herkunft begründet wird. Die Herkunft ist jedoch irrelevant für die Wahrheit. Die Wahrheit einer Behauptung hängt nicht von ihrem Ursprung oder ihren Ursachen ab, sondern ausschließlich von der Gültigkeit und Haltbarkeit ihrer Begründung, der logischen Korrektheit der Schlussregeln und der Wahrheit der Prämissen. Cf. Cohen, M.R. & Nagel, E., 1934, An Introduction to Logic and Scientific Method, New York, Harcourt, Brace and comapny.
(Lennart Nørreklit)